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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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sie nun zusätzlich erkennen mußte, das waren die Handschellen, die sie trug, wobei auch um ihre Fußknöchel ein Band gespannt war. Das paßte nun gar nicht zu einem hübschen Traum. Immerhin jedoch war ihr Mund ungebunden, so daß sie in der Lage war, ein »Hallo!« von sich zu geben. Weil dieses »Hallo!« aber gar so schwächlich ausfiel, räusperte sie sich und wiederholte es in verstärkter Form.
    Was auch ein Ergebnis zeitigte. In Lillis Blickfeld geratend und einen Schatten auf sie werfend, trat jene vornehme Dame, die zuvor so rasch und zielsicher Yamamoto außer Gefecht gesetzt hatte.
    Nach ebendiesem Yamamoto erkundigte sich Lilli sofort.
    Â»So wichtig ist Ihnen der Japaner, daß das Ihre erste Frage ist?« zeigte sich die Angesprochene erstaunt.
    Â»Nun, der Japaner hält sich für einen Samurai«, erklärte Lilli. »Da muß man ständig fürchten, daß er in den Tod läuft.«
    Â»Keine Angst, er lebt. Er hat sich zwar bei seinem Sturz den Kopf verletzt, aber wir haben das hingekriegt. Dr. Ritter kann nicht nur mit Zähnen umgehen.«
    Â»Ach ja! Herzlichen Dank, daß Sie mich aufgefangen haben.«
    Â»Ich versuche den Schaden immer gering zu halten. Allerdings weiß ich auch, daß ein gewisser Schaden dazugehört. Restrisiko ist ein unschönes Wort, aber es hat seine Berechtigung. Der Mensch muß sich stets zwischen mehreren Restrisiken entscheiden.«
    Â»Und für welches haben Sie sich entschieden?«
    Â»Diesmal schnell zu handeln. – Aber es wird Zeit, daß ich mich vorstelle. Ich bin Veronique Fontenelle.«
    Â»Und ich bin Lilli Steinbeck und werde mich schwertun, Ihnen auf eine halbwegs würdige Weise die Hand zu schütteln.«
    Â»Ja, ich denke, darauf können wir jetzt verzichten«, sagte die Madame Fontenelle und ging vor Lilli in die Hocke. Selten hatte jemand hübscher seine Knie gebeugt. Als könnte man mit solchen Knien auch den Arm eines Plattenspielers bedienen.
    Ãœbrigens sollte Lilli in nächster Zeit des öfteren an Marlies Kuchar denken, jene Großtante zweiten Grades und Erbtante ersten Grades, von der sie ein Giesentweiser Haus geerbt hatte, das sie an den Vater ihres nie geborenen Kindes weitergereicht hatte. So wie diese Madame Fontenelle wirkte – im Alter zur Perfektion gereift –, stellte sich Lilli vor, mußte die von der Giesentweiser Bürgerschaft gefürchtete Marlies Kuchar gewesen sein. Auch die Madame Fontenelle hatte wohl schon einige das Fürchten gelehrt. Aber eben nicht mit Bomben und Granaten und bösen Blicken oder den Gebärden von Unternehmern, die ständig drohen, ihren Firmensitz nach Bayern oder Rumänien zu verlegen, nein, die Gefährlichkeit dieser Frau entsprach eher einem starken Parfüm, einer Wolke, einem ominösen Nebel, in dem mehr als nur Feuchtigkeit zu vermuten war. Siehe Stephen King.
    Die Madame öffnete das Kunststoffband um Lillis Füße. Sodann schloß sie die Handschellen auf.
    Lilli erhob sich aus dem Liegestuhl, um einen eingehenden Blick auf die Landschaft zu werfen, die sich da mit pupurfarbenen Bäumen so unwirklich ausbreitete. Sie fragte: »Soll ich für echt halten, was ich da sehe?«
    Â»Ja, das sollten Sie tun. Das Ungewohnte ist nicht notwendigerweise das Falsche oder Gefälschte. Oft ist das Gegenteil der Fall.«
    Â»Das heißt also, ich bin noch immer in Toad’s Bread.«
    Â»Nur ein wenig tiefer.«
    Â»Tiefer?«
    Â»Auch eine unterirdische Stadt benötigt ein Geheimnis. Einen Keller .«
    Â»Ich verstehe nur nicht«, meinte Lilli, »wie es so hell sein kann.«
    Â»Das schulden wir einem System von Spiegeln und Schächten, das noch die Sowjetrussen angelegt haben. Und wenn es draußen zu dunkel wird, dann verwandelt sich der Plafond in eine einzige Tageslichtlampe. Zudem ist es feucht und warm. Was unserer Lage zwischen Kraftwerk und Stadt zu verdanken ist. Ein idealer Platz, wenn man eine Pflanze ist.«
    Â»Ein traumhafter.«
    Â»Ein schützenswerter«, ergänzte Madame Fontenelle.
    Â»Wegen der bemalten Bäume?«
    Â»Bemalt? Da irren Sie!« erklärte die Madame. Sie zog ein Zigarettenetui aus der Tasche ihres schneeweißen Kostüms (schneeweiß gleich getrocknetem Schnee, ein wenig bleich, Schnee für den Sommer, falls man mitten in der Hitze Sehnsucht nach dem Winter bekommt). Es versteht

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