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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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zu handeln, die Lilli in ihrer Handtasche trug. Lilli registrierte augenblicklich dieses aus kleinen Fellstücken zusammengesetzte Objekt, dennoch war ihre eigentliche Aufmerksamkeit ganz auf die Frau gerichtet, auf deren Kleidung sowie die perfekt damenhafte Haltung: die Art, wie sie die Beine übereinandergeschlagen hatte. Als umarmten sich zwei besonders hübsche Zwillinge. Gut möglich, daß auch ihre Zähne von derselben makellosen Glätte waren, aber sie zeigte sie nicht, vermied ein Lächeln. So glatt die Beine, so faltig die Gesichtshaut, die auf etwa sieben Jahrzehnte zurückschauen mochte. Aber es waren gute Falten, so, als würde in einer jeden davon eine Kurzgeschichte von Cornell Woolrich stecken oder eine kleine Stelle aus der Bibel. Das Make-up in ihrem Gesicht hatte eine ähnliche Funktion wie die kleinen Texttafeln neben Gemälden, die einem beschreiben, was man da sieht, wer es wann und womit gemalt hat und wieso es hier hängt und nicht beim Sondermüll gelandet ist. Die Schminke erklärte somit die Bedeutung dieses Gesichts, gewissermaßen seinen Rang in der Kunstgeschichte.
    Auf solche Weise fasziniert von der Erscheinung dieser Person, übersah Lilli die Gefahr, die sich daraus ergeben hatte, zusammen mit Yamamoto – ohne sich angemeldet, ja ohne auch nur angeklopft zu haben – in diesen Raum eingedrungen zu sein.
    Â»Yamamoto, Kriminalpolizei«, erklärte der Samurai und hob seine Dienstmarke in die Höhe. Eine hübsche Dienstmarke übrigens, die in Blau und Rot und Weiß und mit den sternenartigen Pünktchen im Hintergrund an das Logo der NASA erinnerte, allerdings die Buchstabenreihe TBCI aufwies.
    So hübsch diese Marke auch aussah, die Reaktion fiel unfreundlich aus. Gleich, welche Rolle der Fellpuppe auf dem Tisch zukam – auf die Yamamoto viel zu eindeutig starrte –, Dr. Ritter und die Dame schienen nicht bereit, sich irgendwelche Erklärungen aus den Fingern zu saugen. Finger, die zu Effektiverem imstande waren. Auch dürften sie sofort erkannt haben, daß weder Lilli noch Yamamoto eine Renovation ihres Gebisses benötigten.
    Es stimmt schon, daß die Frau im Lagerfeld-Kostüm ähnlich wie Lilli den Eindruck machte, sie würde zu den Waffen der Frauen mitnichten die Pistolen zählen. Aber genau eine solche zog sie jetzt, rascher noch als ihr Kompagnon Dr. Ritter, und leider auch rascher als Yamamoto, der mit verschränkten Armen nach den Griffen seiner zwei Berettas faßte, während die Lagerfeld-Dame bereits ihren Finger um den Abzug bog und abdrückte. Lilli war in diesem Moment weit davon entfernt, in die eigene Tasche zu greifen, um ihre Verlaine hervorzukramen. Dennoch muß gesagt werden, daß Lilli ein »gutes Auge« besaß. Sie sah das Projektil, welches in Yamamotos Brust steckenblieb und postwendend seine Wirkung tat. Seine betäubende Wirkung, wie gesagt werden muß. Denn eine der markantesten Regeln in Toad’s Bread betraf das Verbot todbringender Patronen. Ohne Ausnahme. So, wie ja auch Mord verboten war. – Richtig, Mord war anderswo genauso verboten, doch die Inkonsequenz der oberirdischen Nationen bestand darin, ganze Industriezweige damit zu beschäftigen, letale Waffen herzustellen. Während eben die Verbrecherrepublik diesbezüglich die richtigen Schlüsse gezogen hatte. Wer Mord verbot, mußte auch die Mittel zum Mord verbieten. Darum war es in Toad’s Bread so gut wie unmöglich, an »scharfe Munition« heranzukommen. Ein diesbezüglicher Schwarzhandel hatte sich niemals durchgesetzt, dafür blühte der Handel mit hydrokinetischer Munition, mit Sandgeschossen, Elektroschockpistolen und Blendgranaten, vor allem aber mit einer großen Palette menschentauglicher Betäubungspatronen. Messer waren übrigens ebenfalls erlaubt. Denn ein solches hatte Yamamoto immerhin zum Einsatz gebracht, um auf eine spielerische Weise jenen Kneipenwirt des Su lyesi einzuschüchtern. Aber nie und nimmer hätte er mit diesem Messer eine lebensgefährliche Verletzung von wem auch immer riskieren dürfen. Auch als Beamter nicht. Doch ohnehin waren Messer selten. Betäubungswaffen dagegen häufig. Der Verkauf der passenden Patronen basierte in dieser Stadt auf den gleichen Grundsätzen wie der Verkauf psychoaktiver Substanzen: auf eine legitimierte Weise illegal. Illegal, aber geduldet. Illegal, weil das Illegale

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