Die Haischwimmerin
natürlich einen wesentlichen Aspekt einer Verbrecherrepublik bedeutete, und geduldet, weil solche »nichtletalen Wirkmittel« die Einhaltung des Mordverbots begünstigten. Zudem versetzte ein Teil dieser Geschosse die getroffene Person in einen Zustand, der an den intensiver LSD-Räusche erinnerte. Man kann sagen, es gab Leute, die gerne mal »angeschossen« wurden. Freilich war nicht auszuschlieÃen, auch mit einer nichttödlichen Waffe jemand tödlich zu verletzen. Das war der heikle Punkt.
So, wie es nun in der oberen Welt der Entscheidung des Schützen oblag, welches Kaliber er in einem anderen Menschen unterzubringen gedachte, wenn nicht gar eine kleine Sprengladung im Kopf der Zielperson, war es für den Schützen in Toadâs Bread nicht einerlei, wie heftig die narkotische Wirkung ausfiel, die ein Schuà nach sich zog.
Eigentlich hätte Lilli von alldem wissen müssen. Und in der Tat hatten ihre ewenkischen Freunde einige Male von dieser Eigenart Toadâs Breadscher Waffenpolitik gesprochen. Aber sie war es eben noch nicht gewohnt und dachte im Moment des Geschehens, daà dies das Ende war. Das Ende für Yamamoto und auch das Ende für sie selbst, weil sie ja sah, daà nun gleichfalls Dr. Ritter feuerte, und zwar in ihre Richtung. Sie hätte versuchen können auszuweichen. Aber sie tat es nicht, denn sie spürte, in jedem Fall getroffen zu werden. Von einem zweiten oder dritten GeschoÃ, von Ritter oder der Lagerfeld-Frau. Dann lieber in Würde stehen bleiben. â Ssssip!
Lilli blickte auf die Stelle knapp unterhalb ihres Schlüsselbeins. Zwischen den Wollfäden ihres genetzten Kleids war eine rötlich durchscheinende Kapsel zu sehen, deren nadeliger Kopf in ihrem Körper steckte. Endlich kam ihr die Erleuchtung. Sie erinnerte sich wieder, davon gehört zu haben, daà in Toadâs Bread allein Betäubungswaffen gebräuchlich seien. Etwas, das sie freilich nicht ernst genommen hatte. Aber es war ernst. Gott sei Dank! (Dies galt natürlich auch für Yamamotos modifizierte Polizei-Berettas, so daà also Lillis Verlaine-Pistole die einzige in diesem Zahnarztraum war, die über tödliche Geschosse verfügte, passenderweise aber auch als einzige in der Tasche verblieb.)
Lilli spürte die Wirkung. Die jedoch langsamer eintrat als bei Yamamoto, den es nach hinten geschleudert hatte. Lilli hingegen stand noch eine ganze Weile aufrecht, wirkte verträumt, alkoholisiert, abwesend. Ein Lächeln spannte sich gleich einer Hängematte von einem Lippenrand zum anderen. Ihr Blick trübte sich. Dennoch konnte sie erkennen, wie sich die Lagerfeld-Frau erhob, rasch näher kam und sie in die Arme nahm. Offenkundig, um zu verhindern, daà Lilli unkontrolliert zu Boden stürzte und sich solchermaÃen doch noch verletzte.
Lilli spürte nicht nur den sicheren Griff der Frau, sondern vernahm auch deren Stimme, vernahm Worte, die wie die kleine Fee aus Peter Pan durch die Luft flogen, hübsche Wörter, die sicher auch etwas bedeuteten. Aber Lilli registrierte allein noch den Klingklang. Dann wurde es Nacht.
17
Als Lilli die Augen aufschlug, sagte sie sich: »Ich träume das nur.«
Gedämpftes Sonnenlicht lag warm auf ihrer Haut. Sie vernahm das Plätschern und Gurgeln eines Baches. Dazu Vogelgezwitscher und mehrere Windglockenspiele, die gleichsam als Ãbersetzungsmaschinen eines gesprächigen Windes fungierten. Lilli befand sich auf einer verdachten Veranda, hingestreckt auf einem Liegestuhl, und sah hinüber zu einem Märchenwald, der sich über eine langgestreckte Ebene zog, wobei die Traumhaftigkeit der Szenerie dadurch bestätigt wurde, daà dieser Wald einen gemalten oder animierten Eindruck machte. Denn die Rinde dieser Bäume erstrahlte in diversen Purpurtönen, mal mehr ins Rötliche, dann wieder mehr ins Bläuliche führend. Ein Zauberwald wie aus dem Pinsel Monets. Die nadeligen Blätter mochten zwar von hellem Grün sein, aber in diesem Grün spiegelte sich das kräftige Blaurot der Stämme und Ãste.
Merkwürdig wie die Farbgebung war auch der Umstand, daà es schien, als würde dieser Wald im Licht eines klaren Tages stehen. â Richtig, das kommt bei Wäldern schon mal vor. Doch muÃte Lilli feststellen, sich nicht unter dem Himmelsgewölbe, sondern immer noch unter der hohen Einfassung eines Erdgewölbes aufzuhalten.
Was
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