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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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»Das Dumme ist, daß der liebe Gott in seiner – ich muß das so ausdrücken – rücksichtslosen Schöpferfreude dieser Schädlingsabwehr ein Enzym beigefügt hat, das für die pharmazeutische Industrie von enormer Bedeutung zu sein scheint. Was auch immer es medizinisch oder sonstwie bewirkt, es dürfte ganz sicher eines bewirken: eine Goldgrube für den zu sein, der es zu vermarkten versteht.«
    Die Französin führte aus, daß eine Probe dieser pflanzlichen Absonderung nach Europa gelangt sei, wo man seine Bedeutung erkannt habe, ohne aber in der Lage zu sein, es synthetisch herzustellen. Seither versuche dieser Konzern, Leute nach Toad’s Bread einzuschleusen, um sich eine Möglichkeit zu verschaffen, an die Goldgrube auch heranzukommen.
    Â»Und Sie meinen nun«, folgerte Lilli, »diese Goldgrube würde allein Toad’s Bread zustehen.«
    Â»Richtig, aber anders, als Sie denken. Es existiert bei uns keine pharmazeutische Industrie, und es wird auch nie eine existieren. Ich will es mal so salopp ausdrücken: Wir alle in dieser Stadt sind Verbrecher, keine Frage, aber nicht so schlimme Verbrecher, als daß wir auf die Idee kämen, ein Pharmaunternehmen zu gründen. Schließlich verfügen wir ebensowenig über Banken und Versicherungen.«
    Â»Das erinnert mich an Brecht. Sie wissen schon: Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen …«
    Â»Wir sind auch keine Linken«, beeilte sich Madame Fontenelle mit einer Heftigkeit zu betonen, als wäre ihr der Verdacht linker Gesinnung in höchstem Maße unangenehm. »Wenn wir Banken ablehnen, dann nicht wegen deren verbrecherischer Tendenz, natürlich nicht, sondern weil sie eine jede Gesellschaft schlußendlich in den Ruin führen. Nichts gegen Schmarotzer, solange sie den Wirt am Leben lassen. Aber das ist nicht das Ziel der Banken. Sie wollen den Wirt tot sehen.«
    Â»Wenn der Wirt stirbt, stirbt auch der Parasit.«
    Â»Nein, die Bank ist schon vorher tot. Das ist sie von Beginn an. Sie überträgt den Tod wie eine Infektionskrankheit. Sie braucht das Ende nicht zu fürchten. Es ist ihr Sinn und Zweck und eigentliches Wesen. Die Wiederbelebung ist eine Illusion.«
    Â»Statt illusorischer Bank also Waldwirtschaft in Purpur.« Lilli lächelte zart.
    Fontenelle lächelte zart zurück und sagte: »Pilzwirtschaft, um genau zu sein.« Und erzählte nun von dem symbiotischen Verhältnis der Bäume zu den Fliegenpilzen, die an diesem Ort in einer absolut idealen Weise gedeihen würden, während sie ja an der Oberfläche, zumindest in diesen Breitengraden, viel zu selten zu finden seien. So unzüchtbar der Fliegenpilz sei, würde er aus diesem unterirdischen Waldboden auf eine schlaraffenartige Weise aus dem Boden schießen. »Der Wald versorgt uns mit jenem Pilz, der dieser Stadt seinen Namen und seine Bedeutung verleiht. Und die Bewohner am Leben hält.«
    Â»Am Leben?« staunte Lilli.
    Â»Es ist der Geist, der in diesem Pilz steckt. Im wahrsten Sinne: geistige Nahrung . Sie werden das schwer verstehen und noch schwerer glauben, doch auch wir selbst leben in einer Art Symbiose mit dem Pilz.«
    Â»Sie verspeisen ihn. Eine Symbiose würde ich das noch nicht nennen, oder?«
    Â»Ach Sweetheart!« meinte die Madame mit dem kleinen Stöhnen einer brennenden Gasflamme. »Was wäre ein Buch ohne den, der es liest? Stimmt, es wäre noch immer ein Buch, eine Geschichte, aneinandergereihte Buchstaben, die einen Sinn ergeben. Doch allein der Leser kann den Sinn feststellen. Ohne den Leser ist der Sinn bloß wie ein ungesehenes Rauchzeichen, das aufsteigt. Den Himmel kümmert nur der Rauch, nicht das Zeichen, das im Rauch steckt. Buch und Leser hingegen bilden eine vollkommene Symbiose. Und der Sinn jeder Symbiose ist natürlich, daß sie beiden nützt.«
    Â»Wieso sollte es dem Pilz nützen, in den Suppenschüsseln der Menschen zu landen?«
    Â»Weil er im Menschen weiterlebt. Der Geist des Pilzes versöhnt sich mit dem Geist des Menschen. Sie harmonieren. Oder sie streiten. Aber selbst der Streit ist eine Symbiose.«
    Â»Ich wundere mich, was Sie so reden«, meinte Lilli, »wenn ich Sie anschaue, wirken Sie völlig unesoterisch. Huldigen aber einem Fliegenpilzkult.«
    Â»Einer der ältesten Kulte, das stimmt. So wie Toad’s Bread die Verbrechen dieser Welt

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