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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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das Aufsuchen der Familie des Mordopfers, wobei sowohl Valerijas kleiner Bruder sowie auch der Rest der Sippe in keiner Weise irritiert schien ob dieser Wiederholung. Eher wirkte Yamamoto selbst hin und wieder verwirrt. Ein Runzeln seiner Stirn, ein nachdenklicher Blick, ein Innehalten mitten im Satz – genau so, als wollte er sagen: Das kenne ich doch! Und einmal sagte er auch zu Lilli: »Also wissen Sie, ich glaube, ich hatte gerade ein Déjà-vu.«
    Â»So was kommt vor«, meinte Lilli. Nun, auch sie wußte sich manchmal nicht anders zu helfen, als eine Phrase zu dreschen, die keinem nutzte und nichts erklärte. Sondern bloß in der Luft stand wie der üble Geruch von Gärgas.
    Dann aber wurde sie konkreter, indem sie sich bei Yamamoto erkundigte, ob er jemanden namens Tyrell kenne, einen Puppenmacher, Giuseppe Tyrell.
    Â»Wozu brauchen Sie einen Puppenmacher?« fragte Yamamoto, der ja nichts von der Fellpuppe in Lilli Steinbecks Handtasche wußte. Und ebensowenig von den anderen Ongghots, die bei den Leichen gefunden worden waren.
    Â»Tun Sie mir einfach die Freude und helfen mir, wenn ich Sie darum bitte.«
    Â»Nein, so geht das nicht. Sie müssen schon …«
    Â»Ich muß vor allem rechtzeitig ins Bett«, sagte Lilli.
    Â»Wie bitte?«
    Lilli erklärte, daß es zu einem ihrer Prinzipien gehöre, spätestens um neun am Abend mit der Nachtruhe zu beginnen. Ihrer Schlafpflege. Sie schlafe gerne, und sie träume gerne. Sich die Nacht um die Ohren zu hauen, wie gesagt wird, erscheine ihr als menschlicher Defekt, der einiges Unglück erkläre.
    Â»Hier geht nirgends eine Sonne unter, hier stirbt kein Tag«, erinnerte Yamamoto.
    Â»Um so wichtiger, einen vernünftigen Rhythmus beizubehalten. Darum wäre es mir wichtig, daß wir zügig weiterkommen und nicht den Tag verbummeln. – Also, kennen Sie einen Puppenmacher namens Giuseppe Tyrell?«
    Â»Das tue ich. Er arbeitet hin und wieder für uns.«
    Â»Für die Polizei?«
    Â»Der Mann ist nicht dumm. Er ist ein Kybernetiker ersten Ranges. Er war für die Franzosen und die Amerikaner tätig, und wäre er nicht in Toad’s Bread, wäre er längst tot. Aber das gilt ja für die meisten an diesem Ort.«
    Â»Bringen Sie mich zu ihm. Ich muß mit ihm reden.«
    Â»Ich weiß nicht …«
    Â»Jetzt machen Sie schon«, sagte Lilli und sah auf die Uhr. Es war sechs am Abend. Drei Stunden noch. Selbst wenn die Welt untergehen würde, wollte Lilli keine Ausnahme machen. Beziehungsweise wäre sie vor allem für den Fall, daß die Welt tatsächlich unterging, lieber im Schlaf als sonstwo.
    Yamamoto gab nach. Er sagte: »Gehen wir.«
    Der Polizeisamurai führte die Österreicherin – denn das war sie ja, auch wenn niemand hier es erkannte und sie selbst es mitunter vergaß, wie man vergißt, in Wirklichkeit bereits einmal gestorben zu sein –, er führte sie also hinüber in den violetten Distrikt, der noch etwas dunkler und verkommener wirkte als die anderen Farbbezirke. Auch gab es hier kaum Restaurants oder Plätze, sondern allein finstere Gassen, keine Menschen, nur deren Stimmen.
    Â»Lassen Sie mich zuerst reden«, sagte Yamamoto, als man eine ebenerdige Werkstatt betrat, die überraschend groß ausfiel. Hinter einem Schreibtisch, umgeben von Masken und Puppen und Spielzeugrobotern sowie Konstruktionen aus diversen Baukastensystemen – Lego, Fischertechnik, Matador –, saß ein Mann, dessen Aussehen überraschte, weil er so gar nicht an die romantische Vorstellung von einem Puppenmacher erinnerte. Kein Schnauzbart, keine dicke Brille, keine gebeugte Gestalt, kein freundlicher alter Herr, sondern ein breitschultriger Mann, der einen Smoking trug, eine kleine Fliege und auf dessen dunklem Haar sich deutlich die Spuren eines Kamms abzeichneten. Er mochte sich auf halbem Weg Richtung sechzig befinden, aber seine Haut war glatt und braungebrannt, wie auch immer er zu dieser Sonnenbräune gekommen war. Seine explizite Männlichkeit erinnerte an James Mason, eins dieser Gesichter, bei denen man meint, ein unsichtbarer Rasierapparat würde ständig und selbständig über die Wangen fahren.
    Der Mason-Mann telephonierte gerade. Er sprach Russisch, als hätte er Russisch in Oxford gelernt. Das Absurde war, daß das Kabel des Telephonhörers in einen Laib Brot mündete.

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