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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Der zweite Tod hatte sie rasch ereilt und keine Zeit für ein längeres Dazwischen gelassen. So blieb nur noch, daß Lilli den leblosen Körper aus seiner unwürdigen Lage befreite. Sie hatte mit Yamamotos Hilfe den weißen, feuchten, fleckigen Leib auf den Boden gelegt. Sie ließ sich ein Handtuch bringen und schob es unter den Kopf der Toten, um die Blutung einzudämmen. Dann begann sie, die Fesseln zu lösen. Mit einem zweiten Tuch trocknete sie das Gesicht, die Brust, den Bauch, Arme und Beine.
    Yamamoto gab mit leiser Stimme zu bedenken, daß man eigentlich warten sollte, bis die Spurensicherung eingetroffen sei.
    Â»Vergessen Sie’s«, meinte Lilli. »Wozu sollte die Spurensicherung gut sein? Um Hinweise auf den Täter zu finden? Meine Güte, wir wissen, wer der Täter ist. Er liegt dort unten auf der Straße. Schauen Sie lieber nach, was Sie noch bei ihm finden können, bevor die Kinder seine Sachen durchwühlt haben.«
    Â»Meinen Sie denn, alle hier, selbst die Kleinsten, seien Diebe?«
    Â»Ist das jetzt eine Verbrecherrepublik oder nicht?«
    Yamamoto entgegnete: »Hätte sich der verdammte Schweinehund an die Spielregeln gehalten, die bei uns herrschen und an die sich auch unsere Kinder halten, dann hätten wir jetzt keine zwei Toten. Sondern maximal zwei Schlafende.«
    Â»Sie haben recht«, sagte Lilli, »aber trotzdem sollten Sie rasch hinuntergehen und nachsehen.«
    Yamamoto knurrte einen kurzen Satz. Im Knurren hob er die Waffe auf, die der Täter hatte fallen lassen. Er steckte sie ein und verließ die Wohnung. Währenddessen setzte Lilli ihre Arbeit fort, indem sie nun auch den Unterleib der Toten abtrocknete. Als dies getan war, wechselte sie ins Nebenzimmer, wo sie Wäsche zusammensuchte, um den Leichnam ordentlich zu bekleiden. Ihr selbst, Lilli, war die Vorstellung ein Horror, als Tote nackt aufgefunden zu werden. Schlimm genug, wenn sich Pathologen und Gerichtsmediziner an einem Körper zu schaffen machten. Aber wenigstens in diesem ersten, frühen Moment des Todes sollte man angezogen sein.
    Mit großem Einfühlungsvermögen und dem ihr eigenen guten Geschmack wählte Lilli aus dem Kleiderschrank der Verstorbenen das Richtige aus und bescherte auf diese Weise der toten Frau einen im besten Sinne »modischen« Ausdruck. Nicht, daß Lilli davon überzeugt war, daß Tote sich selbst betrachten konnten. Was aber, wenn schon? Dann doch lieber vorsorgen. Und um einen vollkommenen Schlußpunkt zu setzen, zog Lilli sich ihren eigenen Armreif herunter und fügte ihn über Jola Fox’ Handgelenk. Das dünne, aus opalgrünem Kunstharz gefertigte Schmuckstück wirkte in dieser neuen Umgebung gleich einer kurzen musikalischen Sequenz, die verschollen gegangen und nun wiederentdeckt worden war, so daß sich endlich die Komposition als Ganzes erschloß. Ja, auf eine verzwickte und tragische Weise hatte es wohl so sein müssen, daß sich die Wege von Jola Fox und Lilli Steinbeck kreuzten, auf daß ein Armreif die Besitzerin wechselte, ein Armreif, den Lilli seit zwei Jahrzehnten – so lange wie die Nachfolge Christi  – mit sich geführt hatte, um ihn nun endlich an die richtige Person weiterzugeben.
    Jola Fox mochte tot sein, aber sie war jetzt auch perfekt. Und wäre sie tatsächlich in der Lage gewesen, im Raum schwebend sich selbst zu beobachten, dann würde sie es wissen und spüren, wie perfekt sie war.
    Lilli selbst hingegen war noch immer gezwungen, weiterzumachen, weiter – mit einem Pfeil in der Brust, der sich so gar nicht zur Betäubung eignete – durch das Leben zu schreiten, welches an diesem Tag von der Dramaturgie des Film noir bestimmt war.
    Sie sah sich um. In der Küche fand sie, was sie suchte: die obligate Puppe, die da halb geöffnet neben der Spüle lag, daneben eine Nadel samt Faden sowie ein mit einer klaren Flüssigkeit gefülltes Fläschchen. Offensichtlich hatte Breschnew auch hier eine präparierte Ongghot-Puppe vorbereitet gehabt. Erneut übernahm es Lilli, die Dinge zu einem Ende zu führen, indem sie die Flasche in die Puppe fügte, den Faden durch das Nadelöhr führte und den Rumpf der Puppe zunähte. Auf diese Weise vollzog sie einen Akt, der ja eigentlich dem Plan des Mörders entsprochen hatte. Doch Lilli meinte in dieser Handlung, dieser Puppenhandlung, eine Notwendigkeit zu sehen. Kein

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