Die Haischwimmerin
Not auch zu schieÃen, nicht auf eine todbringende Stelle, zumindest nicht mit Absicht, leider aber sei seine Kenntnis der Anatomie weit besser als seine SchieÃkünste. Was eine Lüge war, wenn man bedachte, daà Ritter ein gutes Auge bewiesen hatte, als er eine Betäubungspatrone in Lilli Steinbecks Brust untergebracht hatte. Aber es entsprach wohl seiner pädagogischen Ader, nicht mit seinem Können, sondern mit seinem angeblichen Unvermögen zu drohen.
Ivo jedenfalls wollte es nicht darauf ankommen lassen und sagte: »Mein Auftrag lautet, einen Baum nach Deutschland zu befördern, nicht ein Ohr. Nehmen Sie das Ding.«
»Bringen Sie es mir«, forderte der Ungar.
In diesem Moment trat aber Kallimachos in die SchuÃlinie, und zwar mit jener Schnelligkeit, mit der sich etwa Planeten bewegen, Gasriesen. Ja, der GroÃe Grieche war ein Gasriese, um den herum einige Monde kreisten.
Dr. Ritter schoÃ. Ohne es wirklich zu wollen. Eher aus einem Reflex heraus, der der Plötzlichkeit zu verdanken war, mit der Kallimachos ins Spiel gekommen war.
Wie sich nun zeigte, stimmte die Legende. Die Legende vom unverwundbaren Griechen. Was natürlich Lilli Steinbeck nicht überraschte. Sie hatte es mehrmals erlebt, wie Projektile, selbst ganze Sprengsätze, um Kallimachos einen Bogen machten. Also weder durch ihn hindurchgingen â wie man bei einem Gasriesen hätte vermuten können â noch abprallten wie im Falle von Supermännern. Nein, die Kugel, die Ritter losgeschickt hatte, und zwar in Richtung von Kallimachosâ Bauchmitte, beschrieb eine starke Krümmung, dehnte den eigenen Raum und wand sich haarscharf am GroÃen Griechen vorbei, woraus sich eine Flugbahn ergab, die glücklicherweise in der Folge niemand kreuzte, dafür jedoch in jener Dahurischen Lärche steckenblieb, die noch vor kurzem eine Schatulle in sich getragen hatte. Das schien das Schicksal dieses Baums zu sein, Artefakte zu beherbergen. Sein hölzernes Stöhnen verriet weniger einen körperlichen Schmerz als Verachtung für die eigene unglückliche Verwurzelung.
Das Unglück hielt aber noch anderes bereit. Oder vielleicht konnte man es auch Glück nennen, wenn man sich vorstellte, Ritter würde gleich durchdrehen und einfach wild drauflosschieÃen, um doch noch mehr als einen Baum zu treffen. Dazu aber kam es nicht. Denn da war noch eine zweite scharfe Waffe im Spiel. Nicht Lillis Verlaine-Pistole, welche Madame Fontenelle ordnungsgemäà in einem Schrank verwahrt hatte, sondern es war Galina, die ja fortgesetzt jene Waffe unter dem Pullover trug, mit der sie einem der touristischen Jäger im Dschugdschurgebirge ins Bein geschossen hatte. Genau dieses Instrument holte sie jetzt hervor, erneut aus ihrem Schweigen ausbrechend, womit sie nicht nur bewies, nicht stumm zu sein, sondern auch mitnichten taub. Sie sagte: »Only a dentist.« Und feuerte. Somit erneut auf den Matrix -Film anspielend, diesmal aber konsequenter, indem sie nicht bloà in das Bein des Gegners schoÃ, sondern â so wie die Trinity im Film â auf die Schläfe zielte und die Schläfe traf.
Schrrrrap!
Ritter drehte seinen Kopf in Richtung der Schützin, betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen, in denen sich ein Rot spiegelte, vielleicht vom Blut, vielleicht vom Meer der Fliegenpilze, und sagte endlich: »Eigentlich bin ich Virologe.« Dann fiel er um.
Es war Madame Fontenelle, die in der bekannt perfekten Art in die Knie ging, sich zu ihrem ehemaligen Mitarbeiter hinunterbeugte, ihm in die erstarrten Augen schaute und erklärte, er sei tot. Es schwang etwas wie Befriedigung in ihrer Stimme, obgleich ihr Dr. Ritter ja lange sympathisch gewesen war. Aber das ist wie mit mancher Architektur, die nur so lange schön ist, solange man nicht weiÃ, worin ihr eigentlicher Zweck besteht.
»Und jetzt?« fragte Ivo, der ja noch immer das Behältnis in seinen Händen hielt, wobei sich die Konturen des Ohrs aufzulösen begannen und die Farben langsam verblaÃten. Man meinte den aufsteigenden Wasserdampf zu sehen, so, als besitze dieses Ohr â dieses atmende Ohr â eine sehr viel höhere Körpertemperatur als im Falle der Menschen.
»Romanow und Ritter sind tot«, konstatierte Fontenelle, »und ich will nicht sagen, daà es um Lopuchin schade wäre, würde ihm ebenfalls etwas zustoÃen. Was ich so über den
Weitere Kostenlose Bücher