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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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einem Kopfsprung ins Wasser eintauchte. Er blieb jetzt eine ganze Weile dort unten, über den Boden driftend, langsam, nachdenklich, ein Rochen seiner selbst. Dann schoß er hoch, sprang erneut aus dem Wasser und marschierte rasch weg vom Pool. Niemand hielt ihn auf. Die Burschen waren damit beschäftigt, den Mädchen an die Brüste zu fassen oder sie unters Wasser zu drücken. An Ivo schienen sie schon nicht mehr zu denken. Selbst Heinz nicht. Die Ivo-Sache war gegessen.
    Was Ivo aber nicht sogleich bewußt wurde. Er fühlte sich weiter verfolgt und bewegte sich eilig aus der Schwimmhalle hinaus, nicht aber zurück in den langen Flur, der zum Ausgang führte, sondern tiefer hinein in das Innere des »Weißen Hais«. Dabei geriet er in einen unbeleuchteten Gang, so daß er die Hände ausstrecken und sich an der Wand entlangtasten mußte. Blind wie in Rom. Dennoch kehrte er nicht um, wobei er weniger die Handgreiflichkeiten der Burschen fürchtete als die abstoßende Körperlichkeit der Mädchen. Nein, lieber wollte er einen anderen Ausgang suchen. Solcherart kam er an eine Schwingtür, durch die er nun in eine hohe Halle geriet, über der eine gläserne Kuppel sich spannte. Auch zum Tal hin war alles verglast, mit Blick auf die schanzenartige, als Haimaul interpretierte Terrasse. Jenseits derer lag Giesentweis gleich einem gigantischen toten Robbenbaby, weiß und flauschig und bewegungslos. Nur das nervöse Flackern eines polizeilichen Blaulichts störte den Frieden.
    Obzwar die Halle unbeleuchtet blieb, war es beinahe taghell, dank der reflektierenden Weiße des Robbenkörpers. So konnte Ivo sehen, daß die zentrale Bodenfläche aus einer gewaltigen Einbuchtung bestand, in die man wohl ursprünglich eine künstliche Lagunenlandschaft hatte fügen wollen. Nun aber erinnerte der Anblick an den Einschlag eines wohlerzogenen Meteoriten. Nicht minder akkurat war die gesamte Rückseite mit einer Betonwand verkleidet worden, die sich über vier Stockwerke erstreckte und im oberen Bereich mit Überhängen ausgestattet war. Auf der gesamten Fläche waren verschiedenfarbige Griffe angebracht. Schwer zu sagen, ob diese Kletterwand ein Relikt des geplanten Wellneßcenters darstellte oder die nachträgliche Adaption einer ursprünglich als Wasserfall gedachten Installation. Aber das war gar nicht die Frage, die Ivo beschäftigte, sondern was für ein Ding es war, das da herunterbaumelte.
    Zuerst dachte er, es handle sich um einen Sack, irgendein zurückgelassenes Teil. Aber das war kein Teil, sondern ein Mensch.
    Â»Hallo!« rief Ivo. Doch einzig sein Echo antwortete ihm. Er rannte hinüber zu der Kletterwand und konnte jetzt deutlich sehen, daß auf halber Höhe, an einem von der Spitze führenden Seil, ein Körper hing. Der Körper eines Jungen. Die Schlinge spannte sich um dessen Hals, allerdings schien auch eine Hand zwischen Seil und Hals eingeklemmt. Auf Ivo wirkte es aber weniger so, als habe der Junge sich zu retten versucht, sondern als sei eine Ungeschicklichkeit zu vermuten, ein Versehen, als hätte er die Hand nicht rechtzeitig … Wie auch immer, der Junge, vielleicht vierzehnjährig, regte sich nicht, reagierte in keiner Weise auf Ivos Rufe.
    Ivo rutschte aus seiner nassen, schweren Hose, zog auch den Pullover aus und ging daran, die Kletterwand hochzusteigen. Hier konnte man wirklich sagen, er sei der richtige Mann am richtigen Ort. Er kam auf den enggesetzten Griffen schnell vorwärts. Doch erst als er sich auf Höhe des bewegungslosen Körpers befand, drängte sich ihm die Frage auf, ob es nicht klüger gewesen wäre, vorher die anderen zu alarmieren. Also rief er nach ihnen. Brauchte sich freilich nicht zu wundern, daß keiner ihn hörte. Sie waren zu weit entfernt und zudem völlig ihren diversen Räuschen ergeben.
    Da der Junge nicht gänzlich frei hing, sondern mit dem Rücken die Wand berührte, gelang es Ivo, ihn ein Stück hochzudrücken und mit dem eigenen, sesselartig gekrümmten Körper zu stützen. Auf diese Weise büßte das Seil seinen Zug ein, und Ivo schaffte es, die Schlinge über den Kopf des Jungen zu führen. Sofort fielen dessen Hand und Arm zur Seite, während der Kopf nach hinten sank, gegen Ivos Schulter stieß.
    Â»Eine Leiter«, sagte sich Ivo, »ich hätte eine Leiter holen müssen. Die anderen holen müssen. Die

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