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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Rettung holen müssen. Was mache ich hier? Ich kann den Jungen nicht halten.«
    Stimmt, er konnte ihn nicht halten. Wie auch hätte es funktionieren sollen? Hätte er das Kind mit nur einer Hand über die Schulter wuchten und solcherart bepackt wieder hinunterklettern sollen? Unmöglich! Nein, Ivo konnte noch einige Sekunden lang den schlaffen Körper umklammern, dann entglitt er ihm und fiel die etwa sieben Meter nach unten, wo zumindest die obligate Matte den Fall bremste. Der Körper schlug gleich einer willenlosen Puppe auf.
    Rasch kletterte Ivo abwärts, sprang die letzten beiden Meter auf die Matte, eilte zu dem Jungen und preßte sein Ohr an dessen Brust. Nun, was Ivo hörte, war das eigene pochende Herz und das eigene Keuchen. Egal, er sagte sich: »Es geht um Leben und Tod.« Er richtete sich auf und lief hinüber zu Heinz und den übrigen Nackten.
    Genau dieser Heinz war es dann, der sich als einziger von Ivos Aufregung beeindrucken ließ, ihm auch wirklich zuhörte, den Ernst der Situation begriff, ein Büro aufbrach, ein Telephon fand und die Polizei zu Hilfe rief.
    Â 
    Es ging alles sehr schnell, Polizei und Rettung trafen ein. Offensichtlich lebte der Junge noch, denn er wurde an ein Atemgerät angeschlossen und sofort in den Krankenwagen verfrachtet. Auch kam es zu keinem der üblichen Mißverständnisse, etwa dem, Ivo hätte eine Straftat begangen. Er wurde augenblicklich als der Retter erkannt, der er war.
    Nachdem der Junge abtransportiert worden war, zog sich ein jeder der Badenden rasch an, um nicht so vollkommen nackt im Angesicht der Polizei zu stehen. Ivo erhielt trockene Kleidung aus dem Bademeisterbüro. Eine erste Befragung erfolgte, damit die Beamten sich einen Reim auf die Hintergründe dieser Lebensrettung machen konnten. Absurde Hintergründe. Wobei kein Zweifel über die Zufälligkeit aufkam, dank derer Ivo in die Halle geraten war und das Kind an dem Seil baumelnd vorgefunden hatte. Wahrscheinlich ein Selbstmordversuch. Oder ein Jungenstreich, der schiefgelaufen war. Nichts jedenfalls, wofür man die besoffene Bande aus Nachwuchsbademeistern und Apothekengehilfinnen und Bürgermeistersöhnen verantwortlich machen konnte.
    Â»Bringen Sie mich zu dem Jungen!« verlangte Ivo. »Ich will wissen, ob er durchkommt.«
    Ivo fürchtete, es könnte im Endeffekt der Sturz schuld sein, wenn das Kind verstarb. Doch genau das versuchte man ihm eiligst auszureden. Es war den Polizisten sehr daran gelegen, ihn, Ivo Berg, nicht als Opfer einer Entführung zu sehen, denn sie hatten schnell begriffen, daß er genau das gewesen war. Nein, Ivo sollte allein als Retter eines hiesigen Buben fungieren.
    Â»Gut«, sagte einer der Uniformierten, »wir fahren Sie ins Krankenhaus. Dort reden wir weiter.«
    Darum ging es den beiden Beamten: Ivo zu präparieren. Ihn vergessen zu lassen, wie er an diesen Ort gelangt war. Daß die Bedeutung allein darin bestand, daß er an diesen Ort gelangt war.
    Das idealistische Wunschdenken der Polizisten – nämlich eine Lebensrettung über ein Verbrechen zu stellen – fand nun dadurch Unterstützung, daß sich bald herausstellte, Ivo habe den Jungen keine Sekunde zu früh aus der Schlinge befreit. Der Sturz selbst schien dabei keine Rolle gespielt zu haben. Gewissermaßen ein guter Sturz. Wenn der Junge sein Leben lang behindert bliebe, dann nicht, weil er sechs, sieben Meter tief auf eine Matte gefallen war, sondern weil sein Gehirn zu lange ohne Sauerstoffzufuhr gewesen war. Freilich hätte man es auch folgendermaßen ausdrücken können: Sollte das Kind den Rest seines Lebens ein Krüppel sein, dann einfach darum, weil es von einem Mann namens Ivo Berg gerettet worden war und es nun diesen Rest von Leben überhaupt gab. Hätte Ivo noch eine Leiter gesucht, diese endlich gefunden, sie aufgestellt, die anderen geholt und so weiter, der Junge hätte es niemals geschafft.
    Nun, da war niemand, der es später auf diese Weise auszudrücken gedachte, versteht sich.

4
    Es war eine moderne Klinik am Rande der nächstgrößeren Stadt, in die man den bewußtlosen Teenager eingeliefert hatte und die nun auch Ivo Berg und die beiden Polizisten betraten. Wie immer am Beginn des Wochenendes war viel los, durchaus, wie man es aus amerikanischen Krankenhausserien kennt: grell, futuristisch, streng, in der Luft der Geruch absoluter Kompetenz,

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