Die Haischwimmerin
ihr Körperhaushalt stabilisiert hatte, ging Lilli zurück nach Wien, um dort ihr Studium fortzusetzen, welches sie nicht nur äuÃerst rasch abschloÃ, sondern auch mit einer ausgezeichneten Arbeit. Man wäre sofort bereit gewesen, sie fest an die Uni zu binden, aber Lilli wollte unbedingt zur Polizei. Sie sagte, sie habe nicht die Tierwelt der Ozeane studiert, um dann ein Aquarium zu betreuen, sondern natürlich, um neben den Haien zu schwimmen. Und wenn nötig, das Bild über selbige zu revidieren. Oder das über die Delphine.
Sie wurde eine ausgezeichnete Kriminalistin und übernahm sehr bald, gerade erst dreiÃigjährig, die Leitung einer Sondereinheit für Entführungsfälle. Bei alldem blieb sie die elegante, perfekt gekleidete, kultivierte Person, die sie schon immer gewesen war. Einzig ihre Haare veränderte sie, färbte sie schwarz, ging jedoch weiterhin früh zu Bett und erhielt sich den Charme und die Schlankheit einer Audrey Hepburn sowie die Männer bremsende Strenge einer Katharine Hepburn. Allerdings ohne einen eigenen Mann an ihrer Seite, was den Verdacht unterstützte, sie sei eine Lesbe. Freilich war da auch keine Frau an ihrer Seite, nicht einmal ein Tier, was eigentlich nur den Verdacht zulieÃ, Steinbeck sei ein Neutrum. Damit aber konnte kaum jemand etwas anfangen.
Es war mitnichten so, daà Lilli Steinbeck Ivo Berg einen Vorwurf machte. Das wäre lächerlich gewesen. Die Umstände waren nun mal unglückliche gewesen. Derartiges geschah. Im Grunde hätte Lilli eher sich selbst anklagen müssen, mitten in der Nacht ihr Zimmer verlassen zu haben, um nachzusehen, wo ihr Freund abgeblieben war. Wie man einen kleinen Buben sucht, der sich im Wald verlaufen hat. Nein, sie hätte liegenbleiben müssen. Der Mensch ist kein Nachttier.
Dennoch, für Lilli war die Sache mit Ivo beendet. Ohne ihr gemeinsames Kind erschien Lilli die Fortführung der Beziehung unsinnig. Die Liebe war verflogen, allein der Schmerz blieb. Doch mit dem Schmerz lebte es sich besser als Single, fand Lilli. Sie glaubte nicht an einen Trost, den zwei Betroffene einander spenden konnten. Trost von Gott, das schon, Trost im Gebet, ja, im Andenken, sicherlich, aber nicht im Gespräch. Im Zusammensein mit Ivo wäre es ihr auch viel zu schwer gefallen, ein anderes Leben in Angriff zu nehmen, quasi das alte Konzept erneut aufgreifend. Sie entschied sich gegen Ivo.
Aus Lilli, der Mutter, wurde Lilli, die Polizistin.
Ãbrigens sollte aus Lilli, der Polizistin, dann aber doch noch Lilli, die Mutter, werden. Wenn auch Adoptivmutter. Ende des Jahrtausends, als die Welt wieder nicht unterging, nahm sie ein Mädchen bei sich auf, von dem sie angab, es stamme aus der rumänischen Verwandtschaft, Banater Schwaben. Zwar bestanden da ein paar Ungereimtheiten, aber wenn die österreichische Bürokratie mit etwas umgehen kann, dann mit Ungereimtheiten. Diese Bürokratie ist seit jeher darauf spezialisiert, die Zustände zu tauschen, das Verschwommene ins Klare und das Klare ins Verschwommene zu transferieren. Im Nebel stehende Objekte erhalten eine feste Gestalt, bei blauem Himmel hingegen verwandelt sich alles in ein impressionistisches Gespenst. Diese Bürokratie kann man nicht bestechen, sie besticht sich selbst.
Lilli adoptierte Sarah und schenkte ihr ihren Nachnamen. Man blieb noch ein paar Jahre in Wien, dann wechselte Lilli zur deutschen Polizei und geriet schlieÃlich in einen höchst dubiosen Fall, eine Serie zusammenhängender Entführungsfälle, deren Sinn einzig darin zu bestehen schien, irdischen wie überirdischen Spieltrieb zu befriedigen und eine gewisse Ãberlegenheit des Menschen gegenüber den Göttern zu beweisen. Jedenfalls führte dieser Fall Lilli nach Athen, wohin dann auch Sarah zog. Lilli selbst jedoch war gezwungen, im Zuge einer privaten Abmachung ins Dschugdschurgebirge aufzubrechen, einer so gut wie menschenleeren Region in Russisch-Fernost, wo man sich wahrhaftig verlaufen konnte.
Nun, genau das schien sich dann ereignet zu haben: Lilli Steinbeck und ein Mann namens Kallimachos, der dickste Detektiv, den die Welt je gesehen hatte, die beiden verschwanden, wie man so sagt, spurlos. Lillis Tochter Sarah blieb einstweilen in Athen. Sie war ja erwachsen, zudem bestens aufgehoben im SchoÃe einer gewissen Familie Stirling.
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Und Ivo? Was geschah mit Ivo in diesen zwei Dekaden?
Das Erstaunliche war,
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