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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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jeglichen Hokuspokus und Pathos verzichteten und man ausgesprochen vernünftig miteinander umging, sagte, was zu sagen war, ohne unhöflich mit dem Tisch zu rücken und aufs blödeste die Stimme zu verstellen.
    Die Freifrau – viele nannten sie auch das Fräulein  – verfügte über die Gabe, etwas scheinbar Verrücktes auf die normalste und stets wissenschaftlichste Weise darzulegen. Für sie gab es keine Wunder, sondern nur Natur. Sowie eine falsche und eine richtige Art, mit der Natur, nicht zuletzt der menschlichen, umzugehen. Eine ihrer interessantesten Forderungen war die, jeder Bürger sollte einmal am Tag in der Lage sein, ein Restaurant aufzusuchen. Selbstverständlich auch jene, die in Restaurants arbeiteten.
    Ivo lernte Eila von Wiesensteig im selben Hotelgasthof kennen, in dem die dramatische Wandlung seines Lebens ihren Ausgang genommen hatte. Es versteht sich, daß er auch hier höchst ungern gesehen war, aber was sollte man machen? Er gehörte mitnichten zu den Gästen, die man mit einem Hausverbot belegen konnte. So unbeliebt er war, war er dennoch sakrosankt. Auf eine andere Weise war das auch Marlies Kuchar gewesen. Und ganz sicher galt dies für Eila von Wiesensteig, vor der sich sogar die Halbstarken verbeugten.
    Als nun an einem viel zu heißen Tag fast alle Gäste im Freien saßen, kamen Ivo und die Freifrau in der Leere des dunklen Innenraums miteinander ins Gespräch. Ja, sie trafen sich wie Leute in der Wüste, die mit ihren Autos auf der einzigen Straße zusammenstoßen, ohne sich aber umzubringen, in der Kollision sogar ein Geschenk erkennend. Zumindest sollte sich dieses zufällige Kennenlernen für Ivo als ein solches erweisen.
    Sogleich kam der Spiritismus zur Sprache. Doch was Ivo vor allem faszinierte, war das Gesicht der kleinen Aristokratin, schmal, hell, fast weißlich, mit einem geradezu winzigen roten Mund im Gesicht, einem Kindermund, der von einer vergleichsweise großen Nase gestreift wurde, die allerdings ohne irgendeine Verunstaltung auskam, vielmehr ebenmäßig das vornehme Damengesicht erhöhte, eine spitze Kuppe bildend. Dennoch fühlte sich Ivo an Lilli erinnert, obgleich nicht nur deren Nase, auch deren Mund ganz anders aussah, größer, voller. Vielleicht war es eher die Haltung in diesem Gesicht, denn nicht nur der Kopf schien sich selbst zu tragen, sondern auch jedes Detail des Gesichts – für sich stehend ein Ganzes bildend.
    Â»Sie haben Hände für Bäume«, sagte die Freifrau.
    Â»Finden Sie?« zeigte sich Ivo verwundert und schaute auf seine Hände hinunter. »So breit finde ich sie gar nicht.« Er hatte nämlich »Hände wie Bäume« verstanden. Wurde nun aber darüber aufgeklärt, daß das Freifräulein befand, seine Hände seien von jener Gestalt und Form, die sich zur Pflege von Bäumen und Sträuchern eigne.
    Â»Woran erkennen Sie das?«
    Â»Ausschlußverfahren«, sagte Eila von Wiesensteig. »Ich sehe, wofür Ihre Hände alles nicht geeignet sind, um jetzt beispielsweise das Klavierspiel, die Feinmechanik und die Betreuung von Kleinkindern zu erwähnen. Was bleibt, ist die Pflege von Bäumen. Nicht das Übelste, oder?«
    In der Tat war es nicht das Übelste. Was aber Ivo in diesem Moment nicht ahnen konnte, war, wie sehr dieser Fingerzeig seine Zukunft bestimmen sollte. Erneut erhielt in diesem unscheinbaren Gastraum sein Leben einen Richtungswechsel, nur, daß es diesmal ein erfreulicher sein würde.
    Ivo begegnete der Freifrau von Wiesensteig, die bald darauf ihr Sommerhaus verkaufte, nur dieses eine Mal. Aber die Bemerkung des Fräuleins bezüglich der Eignung seiner Hände, die auch eine charakterliche und ideelle Eignung einschloß, animierte ihn dazu, am nächsten Tag die katholische Pfarrbücherei aufzusuchen und sich ein Standardwerk über den richtigen Umgang mit Bäumen auszuleihen. Daß in diesem Buch nur Unsinn stand, würde ihm später sehr klar werden, aber die Kraft von Büchern ist mitunter so stark, daß auch die, in denen Unsinn steht, den Suchenden mit dem richtigen Impuls ausstatten. Einmal in der rechten Umlaufbahn, finden sich sogar die gescheiten Bücher. Dazu kam, daß die Rotbuche in der Mitte des Kucharschen Hauses Ivo recht bald lehren würde, wie mit einem Baum richtig zu verhandeln sei.
    Ivo Berg traf also nie wieder auf Eila von

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