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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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sollte.«
    Â»Ich gehe zur Schule.«
    Wie meinte er das jetzt? Die Schule des Lebens? Zumindest machte er so ein Gesicht. Bei aller Feinheit der Züge trug er auch etwas Häßliches um Augen und Mund. Nicht die Häßlichkeit eigener Schlechtigkeit, sondern der Schlechtigkeit der Welt, die sich in einem Antlitz spiegelt, welches genau diese Schlechtigkeiten schauen muß. Ja, Spirou hatte Dinge gesehen, die ein Kind nicht sehen sollte. Auch für das richtige Leben müßte es Altersbeschränkungen geben. Gab es aber nicht. Und so war es dazu gekommen, daß Spirou trotz seiner dreizehn Jahre sicher kein Kind mehr war, wenn er überhaupt je die Möglichkeit gehabt hatte, ein solches ansatzweise zu sein. Eher war zu vermuten, er spiele das Kind, beziehungsweise ein zur Comicfigur verwandeltes Kind.
    (André Franquin, der wohl bekannteste aller Spirou-Zeichner, beklagte einmal, daß die Persönlichkeit Spirous ihm stets Schwierigkeiten bereitet habe, weil ihm nicht klar gewesen sei, daß »ein Held wie er gar keine Persönlichkeit besitzt. Er hat keine Persönlichkeit, weil er da anstelle des Lesers ist. Deshalb muß er ›leer‹ sein.« Erinnerte das nicht ein wenig an Musils Der Mann ohne Eigenschaften? Konnte man also vielleicht sagen, jener Spirou, der soeben Ivo Berg vom Flughafen abgeholt hatte, war »Das Kind ohne Eigenschaften«?)
    Jenes Kind ohne Eigenschaften wurde nun von Ivo gefragt: »Und du kennst dich hier wirklich aus?«
    Mein Gott, schon wieder so eine blöde Frage. Natürlich kannte sich der Junge aus. Er wäre sonst kaum beauftragt worden, Ivo zu helfen. Darum gab der Kleine auch keine Antwort, sondern begnügte sich mit einem Grinsen, das die Qualität einer Krankenversicherung besaß. So eine Krankenversicherung wie früher, als man seine Beiträge noch nicht ganz umsonst bezahlte.
    Ivo startete einen letzten Versuch, den Jungen loszuwerden, indem er nach dessen Eltern fragte und was die denn dazu sagen würden, daß ihr Sohn sich als Organisator und Führer verdinge. Nun, es hätte diese Eltern wohl kaum gestört, vor allem angesichts einer guten Bezahlung. Aber wie Spirou erzählte, war er bei einer Tante aufgewachsen, zumindest ein paar Jahre lang. Seine Eltern habe er nie gesehen.
    Auch das noch, dachte Ivo, der auf keinen Fall in irgendeine Ersatzvatergeschichte geraten wollte.
    Als würde Spirou die Gedanken seines Gegenübers erraten, meinte er: »Ich bin immer gut ohne Vater und Mutter ausgekommen.«
    Das war eine Lüge, die sich im Laufe der Jahre in eine Wahrheit verwandelt hatte. Lügen tun das manchmal.
    Â 
    Â»Kommen Sie«, sagte Spirou und wollte nach einem der Koffer greifen, was ja auch angesichts des Pagenkostüms und des Umstands, daß Spirous fiktives Vorbild einst im Hotel Moustic gearbeitet hatte, nicht ganz unpassend war.
    Doch Ivo lehnte ab. Er war zu sehr Westmensch, als daß er einem Kind seinen schweren Koffer aufgehalst hätte. Westmenschen tun zwar alles, um die eigenen Kinder sowenig wie möglich sehen zu müssen, aber sie haben Skrupel, fremde Kinder etwas Schweres tragen zu lassen.
    Â»Ich mach das schon selbst«, erklärte Ivo und nahm die beiden Koffer.
    Spirou wies den Weg. Sie betraten die kleine schäbige Halle des Flughafengebäudes. Ein Uniformierter kam auf sie zu. Spirou sagte etwas. Der Uniformierte lächelte mit einer Zahnreihe, die an ein fatales Endspiel im Schach erinnerte, wenn Schwarz über Weiß triumphiert, und ließ die beiden mit einer schwungvollen Geste passieren.
    Â»Wie auf dem Weg in die Hölle«, dachte Ivo. »Die Freundlichkeit vergammelter Zähne.«
    Draußen stand ein Motorroller mit einem Anhänger, in den Ivo sein Gepäck stellte. Dann setzte er sich zu Spirou auf die Vespa, die geradezu selbstverständlich über das gleiche fleckige Rot verfügte. (Es war nicht wirklich eine Vespa, sondern ein chinesisches Modell, doch Ivo sah die Dinge in vertrauten Zusammenhängen. Um etwas Chinesisches als chinesisch zu erkennen, hätte es eine Portion süß-saures Schweinefleisch sein müssen. Motorroller hingegen waren immer italienisch.)
    Spirou fuhr los. Auch die Straße hätte durchaus ein paar Metallplatten zur Stabilisierung vertragen. Aber so viele Panzer hatte man offensichtlich in dieser Region nicht zurückgelassen.
    Als sie die Stadt erreichten, hatte der Himmel ein

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