Die Haischwimmerin
Lopuchins hingegen stammten aus einer BleigieÃerei. Der mittige ReiÃverschluà des Hemds war bis zum unteren Ende des Brustbeins geöffnet und offenbarte eine glatte, glänzende Brust, einen Spiegel, der nichts spiegelte auÃer sich selbst. Fehlte eigentlich nur noch eine Melone, und Lopuchin hätte als russische Version von Sammy Davis Jr. auftreten können.
Natürlich bemerkte Ivo die etwas abstehenden Ohren, deren Wirkung aber weniger komisch denn furchteinflöÃend war. Wer auch wollte über den Teufel lachen? Eher muÃte man befürchten, der Makel solcher Ohren verschlechtere die Laune Mephistophelesâ. Jedenfalls verfügte sein Russisch über einen raspeligen Klang, so, als säge er die Wörter von seiner Zunge herunter.
»Herr Lopuchin«, übersetzte Spirou, »möchte Sie ganz herzlich in seiner Stadt begrüÃen.«
»Das ist aber lieb von ihm«, sagte Ivo und war bemüht, einen spöttischen Blick zu vermeiden.
Lopuchin hob einen Finger und lud Ivo ein, ihm gegenüber auf einem Sessel Platz zu nehmen.
Ivo setzte sich. Spirou stellte sich rechts neben ihn. Lopuchin redete.
Aus Spirous Ãbersetzung ging hervor, daà die finanzielle Seite erledigt sei. NOH habe den geforderten Betrag überwiesen, der es Ivo überhaupt erst erlaube, sich auf die Suche nach dem Baum zu machen und ihn nach erfolgter Auffindung über Ochotsk nach Europa zu transportieren. »Trotzdem«, dolmetschte Spirou, »möchte Herr Lopuchin gerne wissen, warum der Baum so wichtig ist.«
»Ob der Baum wirklich wichtig ist, wird sich erst herausstellen«, antwortete Ivo.
»Können wir das bitte anders formulieren«, bat Spirou, der wie alle guten Ãbersetzer auch eine lektorische Ader besaÃ.
»Ich will sicher nicht unfreundlich sein«, wählte Ivo einen anderen Weg, »aber man wird doch verstehen, daà NOH keine derartige Summe bezahlt, damit ich hier zum Vergnügen aller Geheimnisse ausplaudere. Allerdings kann ich eins verraten: Es geht um keine biologische Waffe. In dem Baum steckt nichts, womit man der Welt den Garaus machen könnte.«
»Schade«, meinte Lopuchin. Nicht, daà er in erster Linie als Waffenhändler fungierte, er war vielmehr ein Alleshändler. Allerdings lieà sich mit nichts so gut handeln wie mit Waffen. Die Welt war verrückt danach. Und besonders verrückt nach neuen Waffen.
Aber darum ging es nun mal nicht. Keine Waffen.
Dennoch war erstaunlich, wie rasch Lopuchin akzeptierte, daà Ivo die Bedeutung jener Varietät einer hiesigen Dahurischen Lärche für sich zu behalten gedachte. Freilich stellte sich sogleich heraus, daà Lopuchins eigentliches Anliegen â der Grund, daà er Ivo hatte kommen lassen â nicht den Baum betraf, sondern das Loch, jene ominöse Röhre, die angeblich in irgendeinem Tal des Dschugdschur in die sibirische Erde getrieben worden war. Wobei Lopuchin eine Erklärung schuldig blieb, ob er die genaue Lage dieser Sowjetgrabung kannte oder nicht. Präzise wurde er hingegen bei der Analyse seiner eigenen Macht. Er sagte: »Ich bin Kaiser von Ochotsk. Das ist schön, solange ich in Ochotsk bin, nicht so schön, wenn anderswo.«
In der Tat war dies das Problem vieler heutiger Kaiser: die extreme Beschränkung ihrer EinfluÃsphäre. In der einen StraÃe war man noch ein geachteter Potentat, in der nächsten purer Abschaum. Zwar umfaÃte Lopuchins Herrschaft nicht nur die Stadt, sondern zusätzlich den Küstenstreifen nach beiden Richtungen und vor allem den Flughafen, der für den Transport des Baums von groÃer Bedeutung sein würde, dort aber endete Lopuchins Reich. Jenseits der aus perforierten Metallplatten gezimmerten Landebahn mangelte ihm jegliche Macht.
Macht worüber? fragte sich Ivo. Ãber Lärchen und Kiefern, über die Trostlosigkeit so gut wie unbewohnter »mittelgebirgsartiger Reliefe«, über die paar Ewenken, die dort lebten, über das biÃchen Fischfang?
Nun, wie Zar Lopuchin jetzt erklärte, trug das, worüber er keine Macht besaÃ, den Namen Toadâs Bread, womit genau jenes tiefe Loch bezeichnet war. Beziehungsweise das, was sich in diesem Loch befand. Das Ding im Loch. Und dieses Ding war allen Ernstes ⦠eine Stadt. Eine ganz andere Stadt, als Ochotsk eine war.
»Heiliger Bimbam, was für eine Stadt denn?« wollte Ivo wissen, wobei er
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