Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
geht es am besten mit Russisch. Sprechen Sie ein bißchen Russisch, Herr Berg?«
    Nun, eigentlich wollte ja Ivo eine Frage beantwortet haben. Andererseits war es nicht unüblich, daß Frauen, die kochten, das Gekochte zwar servierten, aber nicht selbst verspeisten, oder bloß in winzigen Mengen. Was auch immer das jeweils bedeuten mochte.
    Â»Nein, ich spreche kein Russisch«, sagte Ivo, nahm den Löffel in die Hand und rührte in der Suppe herum, die »Gegenstände« verstellend, als würde er auf einem Touchscreen arbeiten. Endlich aber füllte er einen Löffel und führte ihn zum Mund. Vorsichtig, denn es war ja eine so heiße wie unbekannte Suppe.
    Schwer zu sagen, wonach es schmeckte. Nach Fisch freilich, aber noch mehr nach Fluß als nach Fisch, so wie ja mitunter ein Steak weniger nach dem Rind als nach der Umgebung schmeckt, in der das Rind groß geworden ist, oder sogar nach den Umständen seines Todes. Mitunter wehrt sich so ein kürzlich getötetes Tier selbst dann noch, wenn es weichgekocht zwischen den Zähnen des Essers steckt. Es will nicht schmecken. Was dann irrtümlich dem Unvermögen des Kochs angelastet wird.
    Nicht, daß sich diese Suppe sträubte, verzehrt zu werden, aber wie gesagt, Ivo meinte den Fluß zu schmecken, woraus sich der merkwürdige Widerspruch ergab, eine brennend heiße Suppe als kalt zu empfinden. Wie ja umgekehrt kalte Tomatensuppen oft auch die Hitze der Sonnentage vermitteln.
    Ivo nickte in Richtung Galina. Auf diese Weise wollte er sich bedanken und die Suppe loben, die bei aller »Kälte des Flusses« einen guten, würzigen Geschmack besaß. Doch eigentlich nutzte Ivo die Möglichkeit, sich Galina genau anzusehen. Denn sein Bedürfnis war kein geringes, das Gesicht der taubstummen Frau in sich aufzunehmen: ein Photo zu machen.
    Galina! Eingerahmt von dem enggebundenen Kopftuch war da ein Gesicht asiatischen Zuschnitts, das in keiner Weise an den Vater erinnerte. Für Ivo sah diese junge, maximal fünfundzwanzigjährige Frau so aus, daß er gerne hätte sagen mögen: Das ist die schönste Japanerin, die ich je gesehen habe. Aber er ahnte schon, daß sie keine Japanerin war, auch nicht mütterlicherseits, sondern einen mongolischen Hintergrund besaß. Dieser Hintergrund bestimmte das Antlitz, dessen gewisse typische Rundlichkeit von einer länglichen Form aufgefangen wurde. Die ganze Frau war eher großgewachsen, so auch ihr Gesicht. Der Eindruck des Japanischen ergab sich aus der kalligraphischen Präzision von Augen, Nase, Mund, ohne aber einen Schwung, etwas Hingeworfenes zu besitzen. Die meisten Gesichter sehen hingegen aus, als hätten sie sich selbst zusammengesetzt und als wären die einzelnen Teile im Widerstreit gestanden. Als sei eine Nase immer nur die Antwort auf einen Mund, meist eine freche Antwort. Hier aber stand nichts im Widerstreit. Freundlich war das Gesicht dennoch nicht zu nennen, zumindest nicht solange der Blick auf ihn, Ivo, fiel. Erst als Galina den Kopf schwenkte und zu Spirou schaute, der eifrig seine Suppe löffelte, huschte ein Lächeln … Das mit dem Huschen ist eigentlich eine blöde Phrase, aber in diesem Augenblick stimmte sie. Denn Galina lächelte ja nicht, ihr Mund blieb unverändert gerade, und dennoch war der milde Ausdruck eines Lächelns zu sehen, der Transit eines Lächelns, so wie wenn Merkur oder Venus vor der Sonnenscheibe entlanggleiten. Während das Lächeln der meisten Menschen eher einer partiellen Sonnenfinsternis gleichkommt.
    Galina streichelte über Spirous Kopf, welcher für einen Moment dankbar zu ihr aufsah. Dann zündete sich die Meisterin der Suppen eine Zigarette an, was in den Augen des Westmenschen Ivo Berg natürlich doppelt ungehörig war: Am Tisch saß ein Kind, und man war beim Essen. Aber man war eben auch auf der anderen Seite der Welt.
    Ivo wollte hier nicht den Suppenkasper geben. Vor allem wollte er diese Frau nicht kränken. Er aß seinen Teller leer, ließ sich eine zweite Portion servieren und verdrängte den Gedanken, wie wenig er über die Zutaten wußte. Währenddessen brachen draußen die Schneeeier in immer rascherer Folge auf. Es war Nacht geworden, und ein heftiger Sturm setzte ein. Die Scheiben vibrierten.
    Â»Kann das nicht bis morgen warten?« fragte Ivo. »Ich meine unseren Besuch beim Bürgermeister.«
    Â»Lopuchin

Weitere Kostenlose Bücher