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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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zerdrückt. Zwar wurde später von den Medien behauptet – weil zum Spaß auch immer das Spaßverderben gehört –, diese Kartoffel sei in Wirklichkeit gekocht gewesen, aber das war eine Lüge, um das Mysterium der Harmstorfschen Kraft zu entweihen. Wie auch immer, die Kartoffeln, die Galina neben die Suppenterrine zu stellen pflegte, sahen so aus, als seien sie allein durch heftiges Drücken erweicht worden. Kein Wunder, daß sie niemals richtig heiß waren, sondern eher handwarm .
    Das Verhältnis, das Ivo zu den drei Personen in diesem Haus entwickelte, war recht unterschiedlich. Mit Spirou verstand er sich prächtig. Der Junge war anhänglich, klug und treu. Und auch trotz der vielen schrecklichen Dinge, die Spirou in seinem Leben bereits hatte schauen und erleben müssen, verfügte er immer wieder über einen kindlichen Übermut. Einen Übermut, an den sich Ivo anschloß. So verbrachten die beiden Stunden im Schnee, nicht bloß Schneeballschlachten austragend, sondern ganze Festungen aus der weißen Masse formend, wehrhafte Krieger bauend, mitunter überlebensgroße Figuren, denen die Rundlichkeit läppischer Schneemänner fehlte und die eher an die Sturmtruppen des galaktischen Imperiums erinnerten: weiß, aber böse. Auch begaben sich Ivo und Spirou gerne auf die zugefrorene Flußmündung, wobei sie mit einem alten Schneemobil über die weite Fläche flogen. Und dann war da noch etwas: Sie spielten Tennis. Genau! Hinter dem Haus lag ein Tennisplatz, den die beiden Tag für Tag vom Schnee befreiten, woraufhin sie den gefrorenen Untergrund mit Streusalz aufweichten, das Netz über den Platz spannten und sodann auf der Betonfläche einige Matches absolvierten. Die Schläger waren alt, nicht zuletzt die Bälle, zudem der Boden rissig und uneben, was die Qualität des Spiels schon ziemlich beeinflußte, aber den Spaß in keiner Weise verringerte. Hier war nicht Wimbledon. Alles in Ochotsk war alt und gebraucht. Nur die Waffen nicht. Aber die waren ohnehin Lopuchin und seinen Leuten überlassen.
    Â»Was eigentlich das soll?« fragte eines Tages der Professor.
    Â»Was soll was?« fragte Ivo zurück.
    Â»Wollen Sie adoptieren Spirou?«
    Â»Adoptieren? Meine Güte, davon kann keine Rede sein.«
    Â»Keine Rede wieso? Soll heißen, Sie nur tun so als ob. Oder wie?«
    Â»Mein Gott«, stöhnte Ivo Berg, »ich vertreibe mir die Zeit mit ihm. Und er mit mir.«
    Â»Er mag Sie«, stellte Oborin fest. »Spirou wirklich mag Sie. Und wenn alles vorbei, Sie sind weg. Schneller weg, als er kann weinen.«
    Â»Hören Sie, Professor, ich werde mir Mühe geben, dem Kleinen keine falschen Hoffnungen zu machen. Ich werde mit offenen Karten spielen.«
    Â»Was soll er haben von offenen Karten? Besser, viel besser, Sie nehmen Spirou mit, wenn Sie gehen zurück.«
    Â»Das wird schwer zu machen sein.«
    Â»Wie? Sie wollen Baum aus sibirischer Erde stehlen, aber Spirou-Junge mitnehmen soll ein Problem sein?«
    Â»Ich habe nicht vor, den Baum zu stehlen. Hier fließt immerhin eine ganze Menge Geld.«
    Â»Sie bezahlen Mafia, Sie bezahlen aber nicht russische Erde.«
    Da hatte der Professor schon recht. Ein ordentliches Geschäft würde in diesem Zusammenhang wohl kaum zustande kommen. Und es stimmte ebenso, daß niemand in Ochotsk etwas dagegen haben würde, wenn Ivo schlußendlich nicht nur ein Exemplar der Dahurischen Lärche entwurzeln und fachgerecht bandagiert nach Europa schaffen würde, sondern ebenso den kleinen Helden mit der roten Mütze. Dessen Tante, bei der er seine ersten Lebensjahre verbracht hatte, lebte nicht mehr. Und selbst Zar Lopuchin, der den Jungen sehr mochte und ihn zudem, wie er das bei einem jeden in Ochotsk tat, als seinen Besitz ansah, hätte Spirou ziehen lassen.
    Dies alles war Ivo absolut klar. Zudem hätte es für seine in Bremen sitzenden Auftraggeber eine Kleinigkeit bedeutet, die bürokratischen Formalitäten nicht nur einer Baumüberführung, sondern eben auch einer Kindesüberführung in die Wege zu leiten. Nein, das Problem, das sich für Ivo Berg ergab, war schlichtweg die Frage, ob er sich ernsthaft vorstellen konnte, Vater zu sein. Beziehungsweise Pflegevater, was ja kaum die einfachere Vaterform ist, im Gegenteil. Dennoch, ganz abwegig schien ihm diese Idee nicht. Die Idee hatte sich geradezu in seinem Kopf

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