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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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übersetzen konnte.
    Und nun ergänzte Spirou: »Ich kenne auch niemanden, der je da gewesen ist.«
    Â»Und was ist mit Lopuchin?«
    Â»Er ist der Zar«, erinnerte Spirou.
    Das war keine Antwort. Oder doch?
    Selbiger Zar unterbrach das Zwiegespräch, indem er aufstand und auf Ivo zukam. Auch Ivo erhob sich von seinem Sessel.
    Im Stehen wirkte Lopuchin noch etwas kleiner und schmächtiger, seine Ohren jedoch größer. Er begann wieder zu reden, rascher als zuvor, keine Pause mehr zulassend, so daß Spirou gezwungen war, simultan zu übersetzen.
    Lopuchin berichtete von den »Zeichen«, die er in Ochotsk zu verteilen pflege. Jene Männer und Frauen, denen er seinen Schutz gewähre, küsse er auf die Stirn, was sich sodann herumspreche. Alle zu küssen wäre freilich unpassend. Also gebe es auch die, welche kußlos blieben und tunlichst achtgeben müßten, sich nichts zuschulden kommen zu lassen. Leider Gottes geschehe es immer wieder, daß jemand meine, in die eigene Tasche arbeiten zu dürfen. Unverbesserliche Naturen, die er, Lopuchin, ebenfalls »kennzeichne«, nicht mit einem Kuß versteht sich, sondern mit einem Stigma, versteht sich.
    Â»Ich mache das nicht«, sagte er, »weil ich Spaß daran habe, Menschen zu verletzen. Mir wäre lieber, man würde mich nicht dazu zwingen. Aber man tut es. Kein Wunder, daß ich dann wütend werde.«
    Â»Also ich will Sie ganz sicher nicht wütend machen«, sagte Ivo.
    Umgehend versicherte Lopuchin, welche Freude es ihm bereiten würde, Ivo auf die Stirn zu küssen und ihm auf diese Weise seinen Aufenthalt in Ochotsk zu erleichtern.
    Â»Aber ich frage Sie, Ivo«, sagte Lopuchin, »was nützt Ihnen mein Schutz in Ochotsk, wo Sie doch in die Berge müssen, um Ihren Baum zu finden? Dort oben gibt man nichts auf Freunde von Lopuchin. Man haßt ihn. Und alle, die zu ihm gehören. Das ist so traurig wie wahr. Darum …«
    Er holte aus. Ivo wollte sich wegducken. Doch zu spät. Die Faust traf ihn. Aber da war noch etwas Zusätzliches, was ihn traf, sehr viel schmerzvoller als eine bloße Faust. Es traf ihn auf der Wange. Im Zurückfallen fühlte er, wie seine Haut aufriß. Er spürte augenblicklich, daß ein spitzer Gegenstand das Fleisch seiner Backe vollständig durchbohrt hatte. Ja man hätte sagen können: Ivo Berg registrierte, wie die Luft hereinzog – nicht durch den Mund, sondern durch die Wangenwand.
    Er fiel auf den Boden, schlitterte ein wenig über den glatten Stein. Zu Ende geschlittert, richtete er sich mit einem Stöhnen auf, griff sich an die Wunde und schaute dann auf das viele Blut in seiner Hand.
    Ivo Berg war von einem Ring getroffen worden, genauer gesagt gestochen geworden, gestochen im Sinn einer Stempelung. Lopuchin, der Zar von Ochotsk, trug diesen Ring an seiner linken Hand. Einen Goldring aus fünf spitz zulaufenden Dornen, angeordnet im Stil einer Krone. Selbige Dornen hatten Haut und Fleisch von Ivos Wange durchstoßen, so daß nun aus fünf Löchern das Blut rann.
    Â»Ambulanz!« rief Lopuchin mit drängender, fast verzweifelter Stimme, als ginge es darum, seinen besten Freund zu retten.
    Augenblicklich erschien ein kräftiger Mann mit einem Notfallkoffer, kniete sich neben Ivo und begann, ihn zu verarzten. Auch Spirou war herbeigeeilt, sichtlich geschockt, denn er hatte einen Kuß erwartet und keinen Schlag. Dennoch mußte er sich beeilen zu übersetzen, was Lopuchin nun sagte, und das war das Folgende: »Die Löcher wachsen zu, mein Freund, aber die Narben bleiben. Und das ist gut so. Ich weiß, Ivo, Sie sind wütend. Aber Sie werden mir noch danken für dieses Stigma. Es wird Ihnen helfen. Man wird Sie im Dschugdschur dafür achten. Man wird Sie für meinen Feind halten. Für einen wichtigen Feind. Kaum einer hat jemals fünf Stiche erhalten. Diese Narben werden Ihnen Türen öffnen.«
    Â»Scheiße! Doch nicht hier in Ochotsk«, klagte Ivo und spuckte Blut.
    Â»Das ist richtig«, sagte Lopuchin. »Sie werden sich in unserer Stadt in acht nehmen müssen. Es wird gut sein, nicht unter die Leute zu gehen. Natürlich könnte ich allen erzählen, wie es wirklich ist. Daß Sie mein Mann sind. Aber das wäre doch dumm. Es würde sich herumsprechen. Auch bis nach Toad’s Bread. Und das wäre nun wirklich ein Problem. Es wäre dann alles

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