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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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festgesetzt. Seine abwehrende Haltung, wenn er darüber mit Oborin sprach, war auch gegen sich selbst gerichtet. Denn in Momenten, da er Spirou in aller Ruhe betrachtete, von keinem Herumtollen abgelenkt, rührte ihn dieser Anblick auf eine Weise, daß er meinte, ihm zerspringe das Herz. Was nicht zuletzt damit zusammenhing, daß sich in Ivos Vorstellung das Gesicht Spirous mit dem von Moritz verband. Mit jenem Moritz, noch bevor dieser versucht hatte, sich umzubringen, um sodann schwerstbehindert auf ewig in einem Rollstuhl zu landen. Dabei war es ja nicht so, daß Ivo jemals Moritz anders gesehen hatte als mit dem Kopf in der Schlinge und anschließend in der lallenden, augenverdrehenden Weise seiner körperlichen und geistigen Einschränkung. Aber Ivo kam es vor, als spiegele sich in Spirous Antlitz das unbeschädigte Gesicht Moritz’. Und auf eine diffuse Weise erkannte Ivo die Chance, Moritz doch noch zu retten, richtig zu retten, und nicht bloß am Leben, am Rollstuhlleben zu erhalten. Ja, Moritz zu retten, indem er Spirou rettete.
    Diffus! Diffus! Aber wie gesagt, durch sein Herz ging ein vielsagender Riß.
    Da war dann noch ein zweiter Riß, aber nicht parallel zum ersten oder diesen überlagernd, sondern quer dazu, so daß sich in Ivo Bergs Herz eine Rißstruktur ähnlich einem Kruzifix ergab. Dieser zweite Riß galt Galina Oborin. Tagtäglich sah er die junge Frau bei der Zubereitung ihrer Suppen, denen sie sich mit absoluter Hingabe und einem Höchstmaß an handwerklichem Geschick widmete. Allein, wie sie die Zutaten portionierte und auf ein breites Holzbrett auslegte, erinnerte an die Herstellung eines Mosaiks. Und aus der Ferne erschien es Ivo tatsächlich so, als könne er hin und wieder eine bildliche Darstellung erkennen, eine Flagge, einen Stern, eine florale Anordnung. Aber sicher konnte er sich nicht sein, da er niemals wagte, zu nahe an den Herd und damit an die Köchin heranzutreten. Sie stand immer so, daß sie Ivo den Rücken zudrehte, und es wäre natürlich ungehörig gewesen, einen Menschen, der ohne Gehör war, auf diese Weise zu ȟberfallen« und dann auch noch in den Verdacht zu geraten, das Geheimnis der wohlschmeckenden Suppen lüften zu wollen.
    Dennoch, eine Peinlichkeit blieb ihm nicht erspart. Als Ivo einmal früher als üblich aus dem Schlaf erwachte und das einzige vorhandene Badezimmer aufsuchte, da ereignete sich ein ungewollter, nichtsdestoweniger ungehöriger Überfall. Eigentlich hätte er das markante Geräusch der Dusche registrieren müssen. Tat er aber nicht, sondern trat um fünf in der Früh in den unversperrten Raum ein und gewahrte den Anblick der hinter einer klaren Scheibe stehenden nackten Galina, welche seitlich stand, den Kopf jedoch so in den Strahl gerichtet, daß sie Ivo nicht bemerkte. Dieser erstarrte völlig gebannt im Angesicht eines Körpers, der sehr viel schlanker war, als wegen der rundlichen Gesichtsform zu vermuten gewesen war, vor allem aber aufgrund der Täuschung, die sich aus Galinas dicker Bekleidung ergeben hatte. Denn sie pflegte stets – und gleich, wie stark auch geheizt wurde oder wie sehr der Dampf den Küchenraum erfüllte – ihre pinkfarbenen groben Wollstrümpfe zu tragen, dazu ihr grünes Kopftuch, einen kurzen Rock über einem knielangen sowie eine unbekannte Zahl von Oberteilen. Wodurch sie aber nicht den Eindruck des erfrorenen Typus machte, sondern eher den eines gepanzerten Wesens.
    Hier aber stand sie nackt da und offenbarte einen Körper, dessen Haut und Form geschliffen wirkte, wie unter genau diesem Wasserstrahl entstanden. Als hätte der Wasserstrahl den Körper von allem Unnötigen befreit, ohne jedoch – wie das Zeichnern beim Radieren oft passiert – zuviel wegzunehmen. Die prinzipielle Schlankheit bedeutete somit nicht, Hüften oder Po oder Busen seien begradigt, sondern vielmehr von allem Überflüssigen reingewaschen worden. Alles, was rund sein sollte, war rund, und alles Gerade bar jener Zugabe, die wir gerne Polster oder Pölsterchen nennen. Dazu kam der leicht bräunliche Teint der Haut, auch eine gewisse Fleckigkeit, die aber in keiner Weise etwas Kränkliches, Ausschlagartiges besaß, sondern eher an die glänzende Oberfläche einer alten Violine erinnerte, die durch einige Virtuosenhände gegangen war. Allerdings konnte man sich bei Galina

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