Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
nicht vorstellen, daß je eine fremde Hand diese Haut berührt hatte. Früher mal die Mutter, natürlich, das schon, wer auch immer diese Mutter gewesen sein mochte, denn darüber wurde kein Wort verloren, von keinem. Nein, wenn man sich schon Hände auf dieser Geigenhaut vorstellte, dann die Hände wohlgesinnter, hochmusikalischer Geister.
    Ivo stand also da und starrte den Körper an, als wäre er ein Zwölfjähriger, der zum ersten Mal die Seiten eines Playboy -Magazins aufschlägt. In diesem höchst ungünstigen Moment drehte Galina ihren Kopf aus dem formgebenden und formhaltenden Wasserstrahl heraus. Und zwar in Richtung der Türe und damit auf den herüberglotzenden Ivo. Ohne aber, daß sie zusammengezuckt wäre oder gar aufgeschrien hätte. Ihr Blick war streng und strafend. Der Blick sagte ganz klar, daß es eine Sache war, in ein besetztes Badezimmer zu treten, aus dem deutlich hörbare Duschgeräusche drangen, aber eine ganz andere, sich nicht augenblicklich umzuwenden und schnurstracks den Raum zu verlassen.
    Nun, trotzdem war Ivo fortgesetzt unfähig, sich aus seiner Starre zu befreien, betrachtete vielmehr den jetzt frontal dastehenden Körper, die beiden gleichförmigen, festen Brüste, vor allem aber die zarte Wölbung eines Bauchs, in welchem der mittige Nabel so wirkte, als hätte ein Schöpfergott seinen Finger in weichen Ton oder frischen Teig gesetzt. Ja, diesen Nabel konnte man als einen Fingerabdruck der besonderen Art interpretieren. Wenn man wollte. Und Ivo wollte unbedingt.
    Endlich aber gelangte er zurück in die unesoterische Sphäre guten Benehmens, senkte den Kopf und murmelte eine Entschuldigung, welche freilich Galina auch dann nicht hätte hören können, hätte sie hören können, drehte die Schulter weg und gelangte mittels solchen Schwungs durch die Tür und aus dem Badezimmer hinaus.
    Eigentlich hätte Ivo befürchten müssen, daß Galina ihm aufgrund dieser Episode mit noch größerer Distanz und Kälte begegnen würde als schon bislang, von der im Preis inbegriffenen Suppenverköstigung einmal abgesehen. Aber überraschenderweise war das Gegenteil der Fall. Nicht, daß sie Ivo nun um den Hals zu fallen pflegte, wenn er von seinen Ausflügen mit Spirou zurückkam, aber sie schenkte ihm mitunter ein Lächeln, das man hätte betörend nennen müssen, wäre das Wort »betörend« nicht gänzlich in Ungnade gefallen. Jedenfalls hatte sich aus der Ungeschicklichkeit dieses Morgens ein unerwarteter Vorteil für Ivo ergeben. Aus irgendeinem Grund stand er jetzt in einem besseren Licht da. Außer man wollte annehmen, es handle sich um eine Falle.
    Daß dennoch ein Riß durch Ivos Herz ging, ist wohl am leichtesten damit zu erklären, daß er sich nach Galina sehnte, nach ihrem einmal geschauten Körper. Auch sehnte er sich danach, mit ihr sprechen zu können, zur Not auf russisch, das er nicht verstand. Aber es war wohl der Klang einer nie vernommenen Stimme, den Ivo begehrte. Oder was sonst noch an Wünschen und Phantasien in seinem Kopf herumschwirrte. Man muß wohl sagen: in seinem verliebten Kopf.
    Nicht, daß er ernsthaft versuchte, sich Galina zu nähern. Er spürte, daß es dafür zu früh gewesen wäre. Daß diese gewisse zeitweilige Freundlichkeit im Blick der taubstummen Frau keineswegs ein Signal darstellte, sich ihr in der üblichen Weise zu nähern, etwa zu versuchen, sie an der Schulter oder Hand zu berühren oder sie gar küssen zu wollen. – Es mochte ja manchmal vorkommen, daß ein verfrühter Kußversuch wenig schadete, möglicherweise sogar umständliche Anbahnungen zu umgehen half, aber in diesem Fall war Ivo vollkommen bewußt, wie sehr eine Voreiligkeit jegliche Chance zunichte gemacht hätte. Nein, er beschloß, den einzigen richtigen Moment abzuwarten. Ohnedies war dieser sibirische Spätwinter bestens geeignet, das Warten zu lernen.
    Einen Teil dieser Lernstunden im Warten verbrachte Ivo im Labor des Professors, ohne daß man viel miteinander sprach. Es war für Ivo kaum zu begreifen, was der Professor genau trieb. Natürlich, er öffnete alte Telephon- und Funkgeräte, alte Computer, bohrte und stocherte in den Eingeweiden der Maschinen herum, verlagerte Teile, verlegte Kabel, lötete, schraubte. Manche der Kabel mündeten abschlußlos im Mauerwerk oder

Weitere Kostenlose Bücher