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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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noch ihr eine Ohrfeige zu verabreichen? Hätte er sich für Galinas »Überreaktion« entschuldigen sollen? Hätte er mehr Verständnis für die Ausgelassenheit eines alkoholisierten Jägers zeigen sollen, für den wahrscheinlich nicht viel Unterschied zwischen Frauen und Schafen bestand? (Und wenn die meisten Männer selbstverständlich anders über Frauen dachten, dann fragte man sich doch, warum die Welt so aussah, wie sie aussah. Das ist der Punkt: Die Welt beim Wort zu nehmen und zu sehen, ob das Wort mit der Welt auch übereinstimmt.)
    Sosehr Ivo die eigene Tat überraschen mochte, sosehr er Gewalttätigkeiten auch ablehnte, meinte er den Nutzen zu erkennen: den Nutzen raschen Handelns. Und eben nicht darauf zu warten, daß jemand, mit dem man ganz sicher nicht würde verhandeln oder vernünftig reden können, einem ins Gesicht schlug.
    In einem selbstbewußten Tonfall – welcher letztlich noch stärker imponierte als der Fußtritt – erklärte Ivo, daß, wenn hier eine Verrücktheit bestehe, dann nur darin, weil jemand, der ohne Benehmen sei, sich betrinke. Nur der gut erzogene Mensch, der sich seines Erzogenseins in jeder Lage sicher sein kann, habe das Recht, sich volllaufen zu lassen. Aber mitnichten dieser Mann hier mit seiner absichtsvollen Verwechslung eines Handrückens mit einem weiblichen Geschlechtsorgan. Und dann sagte er, Spirou winkend: »Es reicht jetzt. Wir gehen schlafen.«
    Er hakte sich bei Galina unter und führte sie weg vom Platz, hinter das Haus. Spirou folgte.
    Â»Wir werden zeitig in der Früh losgehen«, erklärte Ivo, »um rasch von diesen Herzbuben wegzukommen.«
    Â»Ja, das ist wirklich besser«, meinte Spirou und erklärte, die beiden russischen Führer hätten ihm erzählt, das Jagdverhalten der vier Herren trage extrem sadistische Züge. Und wenn das russische Jagdführer sagten, dann war das sicher nicht übertrieben.
    Ja, so war es oft. Es nützte nichts, daß anderswo in der Welt »gute«, »anständige« Waidwerker unterwegs waren, um die Natur zu beobachten, dem verirrten Wanderer den Weg zu weisen, Vogelstimmen auf Band aufzunehmen, Müll produzierende Ausflügler zu ermahnen oder Futterkrippen sorgsam auszubessern. Es nützte ebensowenig, erzählt zu bekommen, es existierten auch verantwortungsvolle, einer christlichen Ethik verpflichtete Immobilienmakler, wenn ein böses Schicksal einen ständig in die Arme sogenannter schwarzer Schafe trieb.
    Man begab sich in die Zelte. Galina in das ihre, Spirou und Ivo in das andere.
    Â»Schau mal zu ihr rüber«, sagte Ivo nach einer Weile, »ob es ihr auch gutgeht. Sie wird vielleicht befürchten, einer von den Kerlen könnte sich in ihr Zelt verirren.«
    Spirou tat, worum Ivo ihn bat. Als er zurückkam, sagte er, alles sei in Ordnung. Galina liege auf ihrem Fell und trage eins ihrer Küchenmesser zwischen der Brust und den überkreuzten Armen.
    Â»Meine Güte, sie könnte sich selbst verletzen.«
    Â»Sie schläft immer so«, erklärte Spirou. »Mit einem Messer. Es ist ein besonderes Messer. Es wehrt böse Geister ab, die versuchen, über den Pfad der Träume in den Menschen einzudringen. Aber zur Not kann man damit auch Leute verjagen, die keine Geister sind.«
    Â»Na gut, dann sollten wir jetzt schlafen«, sagte Ivo, nahm fünf Globuli Arsenicum album, und dann noch einmal fünf – weil er wie die meisten Süchtigen ein Anhänger der Doppelt-hält-besser-Theorie war und weil dies seine Art der Geisterabwehr war –, stellte die Weckuhr seines Handys ein und knipste die Taschenlampe aus. Augenblicklich erfüllte ein Schwarz den Raum, das so makellos war, als sitze man im Inneren einer verschütteten Statue.

12
    Wie geplant, standen die drei Nichtjäger bei Sonnenaufgang auf. Ivo mit Brummschädel. Während Spirou mit der bekannten Perfektion und Schnelligkeit die Zelte abmontierte und in handliche Knäuel verwandelte, drückte Ivo seine Daumenkuppen gegen die Schläfen. Was wenig nützte. Er stöhnte. Im Stöhnen drehte er seinen erschütterten Schädel zur Seite und sah, wie Galina ihm ein Stück … Nun, er konnte nicht sagen, was es genau war. Etwas Getrocknetes. Eine Haut von was auch immer – vielleicht tierisch, vielleicht pflanzlich, vielleicht … Jedenfalls nahm er es und

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