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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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schöne Farbe, die wiederum die Zapfen auf der Netzhaut des Betrachters animierten.
    Mangels einer »gefährlichen Lärche« untersuchte Ivo die vorhandenen, nahm Proben der Blätter und der Äste und der Rinden, füllte zudem Erde in gläserne Röhrchen, schnitt kleine Fragmente aus Pilzen, photographierte, war vergnügt ob solch konkreten Handelns.
    Dann aber …
    Zunächst fühlte er den Schmerz. Erst in der Folge vernahm er das pfeifende Geräusch eines Schusses, der sich von ihm wegzubewegen schien. Und in der Tat war die abgefeuerte Kugel nicht in seiner Schulter steckengeblieben, sondern hatte bloß eine Furche in das Schulterteil seiner Jacke gebrannt, um sodann weiter durch den Wald zu fliegen und schließlich im Stamm eines Baumes zu enden. Das demnächst produzierte Harz würde nicht nur die Wunde verschließen, sondern auch das Projektil einhüllen, auf daß Baum und Kugel eins wurden. (Daß Bäume denken können, ist allgemein bekannt. Aber können auch Projektile denken? Schmerzt es sie, ein Ziel verfehlt zu haben? Macht es sie glücklich? Kann eine Kugel überhaupt unterscheiden zwischen dem Holz, in das sie gedrungen ist, und dem Menschenfleisch, in das sie nicht gedrungen ist? Jedenfalls heißt es, es gebe Kugeln, die absichtlich aus der physikalisch vorgegebenen Flugbahn ausbrechen, die einen, um solcherart ihren freien Willen zu behaupten, die anderen aus einem Ekel gegenüber dem Ziel, für das sie geopfert werden sollen. Nun, das ist ein Gerücht, sicher, aber eines, das gerade von Scharfschützen beharrlich vertreten wird.)
    Â»Auf den Boden!« schrie Ivo und warf sich auf die moosige Fläche. Sodann robbte er hinter einen breiteren Stamm. Zwei weitere Geschosse zischten durch den Wald, durchschlugen das Grün, verloren sich im Gehölz. Auch Galina und Spirou waren rasch in Deckung gegangen. Von weiter oben war ein Lachen zu vernehmen. Jemand rief: »Pussycat, the end is near, I blow you away, my lovely dear!« Es war die Stimme des Australiers. Mein Gott, Ivo war überzeugt gewesen, die Jägertruppe werde noch bis in die Mittagsstunde ihren Rausch ausschlafen. Aber offenkundig war der Reiz zu groß gewesen, frühmorgens auf die Pirsch zu gehen, auf die Jagd nach menschlichem Wild.
    Allerdings vermutete Ivo, daß die Kugel, die allein seine Jacke beschädigt hatte, ihn auf Geheiß des Schützen verfehlt habe. Ivo konnte und wollte nicht glauben, daß der Baden-Badener und seine Freunde allen Ernstes die Tötung von Menschen in Kauf nahmen. Eine Hetzjagd, das schon! Aber keine Tötung.
    Â»Okay, wir haben verstanden«, rief Ivo nach oben. »Der Schock sitzt tief. Ich hab mir fast in die Hose gemacht. Zufrieden?! Sie können also jetzt wieder zu Ihren Schneeschafen gehen.«
    Â»Sprach das Schneeschaf!« rief der Karlsruher zurück. Gleich darauf folgte ein Schuß, der so knapp neben Ivo in den Baum drang, als hätte der Schütze auf eine Sprechblase aus Ivos Mund gezielt. Ivo begann an seiner Theorie zu zweifeln. Er überlegte, daß Jäger, die auf Menschen schossen, ohne sie zu töten, es immerhin riskierten, später angezeigt zu werden.
    Ivo sah hinüber zu Spirou, der zusammen mit Galina hinter einem umgestürzten Baum hockte. Spirou deutete mit dem Arm in Richtung einer abschüssigen Rinne, die in wenigen Metern Entfernung einen natürlichen Kanal für das abrinnende Regenwasser bildete. Spirou hatte recht. Wenn man es schaffte, in diese Spalte zu gelangen, würde man über eine bessere Deckung verfügen und zudem eine Chance haben, zum Talboden zu gelangen und den Angreifern zu entkommen. Eine gewisse Unfähigkeit der Jäger vorausgesetzt. Die ganze Hoffnung lag auf dem Restalkohol im Blut der Angreifer. Selten war die Langzeitwirkung dieser Droge willkommener gewesen.
    Ivo nickte Spirou zu, hob die Hand, senkte sie, sprintete los. Sofort feuerten die Jäger. Holz splitterte, Zapfen und Blätter zersprangen. Ein waagrechter Hagel. In gebückter Haltung erreichte Ivo die Rinne und sprang hinein. Spirou und Galina kamen von der Seite her und schafften es ebenfalls. Über ihren Häuptern das Pfeifkonzert verdrängter Waldluft. Augenblicklich gerieten die drei auf der feuchten, matschigen Fläche ins Rutschen, was aber gut so war. Auf ihren Hosenböden glitten sie abwärts, Schlitten ihrer selbst. Das Gelärm der

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