Die Hallen der Unendlichkeit (German Edition)
Menschen sich hier ansiedelten. Es sind menschenähnliche Kreaturen, die im Wasser leben. Sie haben sowohl Kiemen als auch Lungen, und sie haben Schwimmhäute zwischen den Fingern und Zehen. Die Generation der Aufbauer hat einige davon gefangen und untersucht. Steht alles in der Chronik. Sie haben aber diese Kreaturen verjagt und vertrieben. Die, die heute leben, fürchten sie statt sie zu vertreiben. Und so bevölkern sie die Kanäle und sind eine Pestbeule geworden. Widerwärtig, wie es mittlerweile die ganze Stadt ist. Das dumme Volk denkt natürlich, es wären Geister, und wenn sie dann um Mitternacht in ihre Häuser flüchten, kommen diese Kreaturen an Land und holen sich, was sie bekommen können. Abfälle, Reste eines Gelages, sie murksen auch einen Menschen ab, der irgendwo betrunken herumliegt. Gegen Morgen verziehen sie sich wieder in die Kanäle, dafür kommen dann die Diebes- und Mörderbanden aus den Vierteln, die bereits restlos verkommen sind.“
Der Marchese verstummte unwillig und verärgert. Pietrino sagte mit seiner Piepsstimme: „Du, Marchese, warum sagst du den Leuten denn nicht, dass sie nicht richtig leben? Sag ihnen doch, dass sie weniger feiern und mehr die Stadt reparieren sollen.“
„Ach, Pietrino, das ist doch zwecklos!“ Der alte Marchese bedachte den Jungen mit einem freundlichen Blick. „Selbst wenn sie auf mich hören würden, sie könnten die Stadt gar nicht reparieren, denn sie wissen nicht, wie es geht. Es gibt keine Handwerker und Architekten mehr. Bootsbauer, Steinmetze, Graveure, Glasbläser, Schneider, Tischler und Schreiner, Buchdrucker, das gibt es alles nicht mehr. Einige wenige Winzer und Kellermeister soll es noch geben, die aber auch nicht mehr das leisten können, was ihre Vorfahren noch konnten. Die neuen Weine sollen von schlechter Qualität sein. Also, was macht das Volk, das eh nur noch saufen und tanzen kann? Sie trinken die letzten edlen Tropfen weg und können nicht einmal mehr die Qualität dessen, was sie in sich hinein gießen, beurteilen. Ach, es ist ein Graus!“
„Aber wenn sie es könnten, dann würdest du mich hier lassen und ich müsste nicht woanders hin“, sagte Pietrino.
Hans bedachte den Alten mit einem forschenden Blick. „Dieser Junge hat uns übrigens erzählt, dass er ihr Freund ist.“ Nun lächelte er den Kleinen an. „Nicht wahr, Pietrino?“ Der forschende Blick kehrte zum Marchese zurück.
Der behielt zunächst sein mürrisches Gesicht bei, doch der Ausdruck änderte sich, als die Rede auf den Jungen kam. „Da hat er nicht gelogen. Wir sind wirklich Freunde. Er ist der Sohn meiner verstorbenen Dienerin. Sein Vater ist auch tot. Wenn es mich nicht gäbe, dann müsste Pietrino schon längst auf der Straße leben. Aber was soll´s! Ich werde nicht ewig leben, im Gegenteil. Ich bin alt und krank. Und hinzu kommt, dass diese Stadt und diese Halle bald der Vergangenheit angehören werden. Ich mache mir wirklich Sorgen, was aus dem Jungen werden soll.“
In den Augen des Marchese lag ein Wunsch, eine Frage, die dieser nicht auszusprechen wagte oder nicht aussprechen wollte, die Hans hingegen jedoch schon ahnen konnte, selbst wenn er nicht mit Lars und Mike Pietrinos Bemerkung durch die geschlossene Tür gehört hätte. Eine Weile herrschte Schweigen in dem Zimmer hoch oben im Turm. Die Zeitspanne war lang genug, dass sich Lars und Mike unbehaglich zu fühlen begannen. Pietrino schien zu spüren, dass in diesem Moment über seine Zukunft entschieden wurde, denn er sprach den Marchese wieder an.
„Sag, Marchese, ist denn die Stadt wirklich nicht zu retten? Ich mag nicht von hier weg gehen! Mir gefällt es hier so gut. Und was soll ich denn ohne dich, meinen besten Freund, machen?“
Dem alten Mann war anzusehen, dass zwei Seelen in seiner Brust miteinander kämpften. Zum Einen hing er an dem Jungen und wollte, dass er bei ihm blieb. Zum Anderen musste er sich sagen, dass Pietrino, wenn er hier blieb, an einem Ort aufwachsen und leben würde, der dem Untergang geweiht war. Hans beobachtete das Mienenspiel des Marchese, der stumm blieb.
„Hast du denn schon einmal etwas anderes gesehen als diese Wasserstadt?“, fragte Hans schließlich Pietrino. Wie nicht anders zu erwarten schüttelte dieser den Kopf.
„Wir werden diesen Ort verlassen und viele andere sehen“, sprach Hans weiter, wobei er einmal einen kurzen Seitenblick auf ihren Gastgeber warf. „Und wir kehren entweder zu unserem Heim zurück, oder wir bleiben an einem
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