Die Hallen der Unendlichkeit (German Edition)
Tischplatte regelrecht eingeklemmt zu sein schien. „Hallo, Capitano Drake! Euch habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Euch muss gewiss der Donnerstein ausgegangen sein, habe ich Recht?“
„Guten Tag, Don Bartolo!“, grüßte Jonathan erfreut. „Wie gehen die Geschäfte?“
Der dicke Don Bartolo bemühte sich vergeblich, sein pausbäckiges Gesicht in kummervolle Falten zu legen. „Sehr, sehr schlecht! Ihr seht vor Euch einen Mann, der kurz davor ist, völlig zu verarmen.“ Der jammernde Tonfall bildete einen merkwürdigen Gegensatz zur Erscheinung des Mannes. „In der Nachbarprovinz ist ein neues Donnersteinvorkommen entdeckt worden und es heißt, dass das Produkt, das dort gewonnen wird, noch explosiver als unseres ist. Dazu kommt, dass bei uns die Arbeiter ständig höhere Löhne fordern, was die unbedeutenden Einkünfte der Männer meines Standes zusätzlich schmälert. Stellt Euch vor, sie verlangen neuerdings, dass die Kaufleute für den Lebensunterhalt der Familien der Arbeiter aufkommen sollen, die beim Abbau des Donnersteins verunglücken. Was eine Unverschämtheit! Was gehen uns diese Leute an?“
Der Tisch, an dem der bedauernswerte Don Bartolo saß, bog sich unter dem Gewicht der Speisen und Getränke, die sich darauf türmten. Die Frau, die neben ihm saß, hatte die Last ihres umfangreichen Hinterns auf zwei Stühle verteilt. Die Kleidung aller am Tisch war aus guten, teuren Stoffen gearbeitet. Die Gefährten interessierten sich wenig für Don Bartolos Sorgen, sie sahen nur, dass hier für sie kein Platz war.
„Was ist heute hier los, Don Bartolo?“, fragte Jonathan. „Die ganze Stadt scheint auf dem Kopf zu stehen.“
„Das ist kein Wunder, mein lieber Capitano!“ Don Bartolo faltete die Hände auf seinem umfangreichen Bauch, wozu er seine feisten Arme schon fast strecken musste. „Wir feiern heute das Fest des Patrons unserer Stadt. Heute ist der Ehrentag von Sankt Bombastus. Es ist Tradition, dass sich die Kaufleute jedes Jahr die Ausrichtung des Festes etwas kosten lassen. O du meine Güte, was eine Geldausgabe!“
Jonathan versuchte mit einem möglichst verständnisvollen Gesichtsausdruck zu nicken. „Ihr habt übrigens mit Eurer Vermutung Recht gehabt, Don Bartolo. Ich muss Donnerstein kaufen. Wann können wir über Geschäftliches reden?“
Don Bartolo hob einen gläsernen Kristallkelch, der gewiss einen halben Liter fasste, und trank einen großen Schluck bernsteinfarbenen Weins. Dann biss er in eine gebratene Hühnerkeule. Pietrino beobachtete wie gebannt die Kaubewegungen, die anderen bemühten sich, woanders hinzuschauen.
„Ich bedaure sehr“, sagte Don Bartolo und rülpste leise. „Heute arbeitet niemand. Die Arbeiter aus Unterstadt fressen und saufen auf Kosten der Kaufleute. Und ich und die anderen Männer meines Standes sind gewiss schon zu betrunken, um noch Verhandlungen führen zu können. Wir müssen die Geschäfte auf Morgen verschieben.“
„Oh!“ Das schien Jonathan gar nicht Recht zu sein. „Können meine Gefährten und ich irgendwo übernachten?“
„Aber selbstverständlich!“ Don Bartolo machte eine großzügige Geste. „Nur nicht bei mir! Mein Haus ist voll, denn die Verwandtschaft aus Nah und Fern ist angereist, um das Stadtfest mitzufeiern. Heiliger Bombastus, was eine Geldausgabe! Ich würde Euch ja auch gerne zum Essen einladen, aber wie Ihr selbst seht, ist an meinem Tisch kein Platz mehr frei. Vielleicht versucht Ihr es bei einem der anderen Kaufleute. Morgen Vormittag stehe ich Euch für Geschäftsverhandlungen wie immer in meinem Kontor zur Verfügung.“
Jonathan verabschiedete sich von Don Bartolo und schlängelte sich mit seinen Gefährten durch die schmalen Gassen zwischen den Tischen. Der Seemann sprach noch mit weiteren Kaufleuten, aber das Ergebnis war immer dasselbe: Man bedaure sehr, heute würde weder verhandelt noch verladen, man könne weder Quartier noch einen Platz am Tisch zur Verfügung stellen.
So näherten sich die Gefährten der Tanzfläche in der Mitte des Platzes. Hier sahen sie nun erstmals die Armen aus Unterstadt, denn während des Tanzes bewegten sich die Paare durcheinander. Aber selbstverständlich tanzte man nur mit seinesgleichen. Die reichen Kaufleute und adrett gekleideten Diener drehten mit ihren Frauen zierliche Pirouetten, während die in grobe und schäbige Stoffe gekleideten Arbeiter mit ihren Tanzpartnerinnen eigentlich nur umher sprangen. Und selbst hier versuchte man sich nicht zu nahe zu
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