Die Hand die damals meine hielt - Roman
einer Decke, den Kopf in Claras Schoß. Sie bewundern Claras Armband. Die Großmutter, die unter einem Baum geparkt wurde, ist eingeschlafen, die Füße auf einem Hocker. Ted sitzt krumm in einem Liegestuhl, die Beine übereinandergeschlagen, die Arme verschränkt. Beobachtet er, was seine Mutter mit Jonah anstellt? Schwer zu sagen. Möglich ist es, aber vielleicht starrt er auch nur vor sich hin.
Elina findet das Haus von Teds Eltern seltsam. Es ist hoch und hat mehrere übereinandergestapelte Stockwerke, zwischen denen sich die Treppe wie eine Helix emporwindet. Mit der Vorderfront grenzt es an einen Platz, der von identischen Häusern gesäumt ist - eiserne Balkone, gleichmäßig angeordnete Schiebefenster, schwarze Gitter vor den Kellerfenstern. Hinten hat es einen Garten, der zu klein wirkt, nicht ausreichend für die Höhe des Gebäudes. Wenn Elina auf der Rückseite an dem Haus emporschaut, hat sie immer das Gefühl, es könnte jeden Augenblick auf sie kippen.
»Wie geht es Ihnen denn so, Miss Elina?«
Sie dreht sich zu Teds Vater um. Er hat eine Zigarette im Mund und klopft seine Taschen nach dem Feuerzeug ab.
»Danke, gut.«
»Und wie gefällt Ihnen das …« Er knipst das Feuerzeug
an und pafft an der Zigarette, bis sie glüht. »… das Mutterdasein?«
»Hm.« Sie überlegt, was sie sagen soll. Soll sie ihm erzählen, wie oft sie in der Nacht wach liegt, wie oft sie sich am Tag die Hände waschen muss? Wie sie Berge winziger Kleidungsstücke zusammenlegt? Wie sie immer wieder Wäsche, Windeln und Feuchttücher ein- und wieder auspackt? Oder etwas über die Narbe auf ihrem Unterleib, die wie ein gezacktes Grinsen aussieht, über die allumfassende Einsamkeit? Vom stundenlangen Knien auf dem Fußboden, eine Rassel, einen Ball oder einen Stoffwürfel in der Hand? Dass sie manchmal der Drang überkommt, ältere Frauen auf der Straße anzusprechen und sie zu fragen: Wie haben Sie es geschafft, wie haben Sie es überlebt? Oder soll sie erwähnen, dass sie nicht im Mindesten auf die sprudelnde Quelle in sich vorbereitet war, auf das Gefühl, das mit dem Wort »Liebe« nicht abgedeckt werden kann, weil es viel zu groß dafür ist. Dass sie ihren Sohn manchmal verzweifelt vermisst, obwohl sie ihn direkt neben sich hat, dass es wie Wahnsinn ist, wie eine Besessenheit, dass sie, wenn er eingeschlafen ist, oft in sein Zimmer schleichen muss, um ihn sich anzusehen, sich seiner zu vergewissern und ihm etwas zuzuflüstern. Aber stattdessen sagt sie nur: »Sehr. Danke.«
Teds Vater schnippt die Asche auf die Erde und mustert Elina von unten bis oben, von den Füßen, die in Sandalen stecken, über die Beine und den Oberkörper bis hoch ins Gesicht. »Es steht Ihnen«, sagt er schließlich mit einem Lächeln.
Nicht zum ersten Mal muss sie daran denken, dass Ted seinen Vater einmal einen »geilen alten Bock« genannt hat, und sie stellt ihn sich kurz mit einem weißen Ziegenbart vor, angepflockt und an seiner Kette zerrend. Sie schmunzelt.
»Was steht mir?«, fragt sie, und weil sie sich so beherrschen muss, nicht loszulachen, kommt ihr die Frage lauter als beabsichtigt über die Lippen.
Er zieht an der Zigarette und betrachtet sie aus leicht zusammengekniffenen Augen. Sie sieht ihm an, dass er zu seiner Zeit ein attraktiver Mann gewesen sein muss. Die blauen Augen, die spöttisch gekräuselte Oberlippe, das einst blonde Haar. Seltsam, dass schöne Menschen die Erwartung, die Gewissheit, bewundert zu werden, nie ganz ablegen können.
»Das Muttersein«, antwortet er.
Sie zieht an ihrem Rock, zieht ihn über ihre Knie. »Finden Sie?«
»Und wie bekommt das Vatersein meinem Sohn?«
Elina wirft einen Blick auf Ted, der seine Augen abwechselnd zusammenkneift und wieder aufreißt. »Inwiefern?«, fragt sie, etwas abgelenkt.
»Wie schlägt er sich so als Vater?«
»Hm.« Ted rutscht im Liegestuhl nach vorn, hält sich erst das eine, dann das andere Auge zu. »Gut«, murmelt sie. »Prima, würde ich sagen.«
Teds Vater drückt die Zigarette in einer Untertasse aus. »Zu meiner Zeit hatten wir es einfacher.«
»Einfacher? Wieso?«
Er zuckt mit den Schultern. »Man hat nichts von uns erwartet - kein Wickeln, kein Kochen, gar nichts. Wir hatten es leicht. Man hat sich höchstens mal beim Baden blicken lassen und machte samstags einen Ausflug in den Park oder so. Am Geburtstag ging man in den Zoo. Das war auch schon alles. Dagegen haben es die jungen Männer heute schwer.« Er deutet mit dem Kopf in Richtung Ted.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher