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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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den Kaffee haben wollte, keine Milch, und ob denn heutzutage kein Mensch mehr wisse, was eine anständige Tasse Kaffee sei. Obwohl Elina eigentlich gar nicht hinsehen will, beobachtet sie Harriet, die Jonah auf dem Arm hat. Sie hält ihn, als ob sie ihn vollkommen vergessen hat. Er hängt in ihrer Armbeuge auf ihrem Schoß, das Köpfchen gefährlich nah an der Tischkante. Harriet gestikuliert, während sie erzählt, ihre silbernen Armreifen klappern und klirren, und jedes Mal, wenn sie aufgeregt auf ihrem Stuhl herumhüpft, wackelt Jonahs Kopf auf und ab.
Die Ratlosigkeit ist ihm ins Gesicht geschrieben. Er sieht verloren aus, verwirrt. Elina hat versucht, Signale an Ted zu senden, der neben Harriet sitzt: Rette deinen Sohn, rette deinen Sohn. Aber Ted ist anscheinend mit seinen Gedanken im Garten. Seit fünf Minuten starrt er nun schon aus dem Fenster, ohne ein Wort von Harriets Ausführungen mitzubekommen. Gleich, sagt Elina sich, gleich stehst du auf und nimmst Jonah an dich, aber unauffällig, ganz unauffällig. Du machst eine völlig beiläufige Bemerkung, so, als ob er nicht dein Kind wäre, das du über alle Maßen liebst, als ob -
    »Sieht sie nicht genauso aus wie das andere?«, murmelt Teds Großmutter über das Gesprächsrauschen hinweg. Dabei zeigt sie auf Jonah.
    Clara beugt sich zu ihr. »Es ist ein Junge«, sagt sie laut. »Jonah. Weißt du das nicht mehr?«
    Sie schüttelt unwirsch den Kopf, als ob sie eine Fliege verscheuchen will. »Ein Junge?«, blafft sie. »Sieht aber trotzdem aus wie das andere. Findest du nicht?« Die Frage gilt ihrer Tochter.
    Aber Teds Mutter ist nebenan in der Küche und räumt ein Tablett ab. Sie redet mit Teds Vater, der an der Hintertür steht und qualmt. Es geht um Portweingläser.
    »Wie bitte?«, sagt Ted. »Wen meinst du? Was für ein anderes?«
    Seine Großmutter legt die Stirn in Falten und versinkt tief in ihren Gedanken. Sie fuchtelt einmal mit der Hand, legt sie wieder auf die Armlehne ihres Rollstuhls und antwortet: »Du weißt schon.«
    Ted dreht sich auf seinem Stuhl um. »Mum!«, ruft er. »Wen meint sie?«
    »Und mach jetzt bitte die Zigarette aus«, sagt seine Mutter
noch, als sie mit dem leeren Tablett wieder aus der Küche kommt. »Du sollst doch vor dem Kind nicht rauchen.«
    »Wen meint sie?«, fragt Ted noch einmal.
    Seine Mutter sammelt die Weingläser ein, die zerknüllten Servietten. »Wer meint wen?«
    »Großmutter hat gesagt, Jonah sieht aus wie ›das andere‹.«
    Sie greift so hastig nach einer Serviette, dass sie ein Glas umstößt. Dunkel breitet sich der Wein auf der Tischdecke aus, sucht sich einen Weg zwischen Tellern und Besteck und ergießt sich als kleiner Wasserfall über die Tischkante in Elinas Schoß. Als Elina aufspringt, läuft ihr der Wein auf die Schuhe. Sie versucht, sich mit einer Serviette abzutupfen. Clara schiebt den Rollstuhl ihrer Großmutter zurück, weg vom Tisch und dem vergossenen Wein. Und plötzlich stehen alle, die einen mit Tüchern, die anderen mit Tipps und Warnungen, und Ted fragt immer noch: »Wen meint sie?«, und seine Mutter sagt: »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, Liebling«, und sein Vater geht hinter Elina vorbei, sie riecht den säuerlichen Zigarettenqualm, den er ausdünstet, und als sie sich zu ihm umdreht, sagt er: »Großes Gegacker im Hühnerstall, hm?« und zwinkert ihr zu.
    Elina flüchtet aufs Klo, und als sie zurückkommt, ist niemand mehr am Tisch, niemand mehr im Zimmer. Ihr wird flau im Magen. Sie fühlt sich wie ein Kind, das bei einem Spiel nicht mitmachen darf. Doch dann sieht sie, dass alle in den Garten gegangen sind und es sich in Liegestühlen und auf Decken bequem gemacht haben. Als sie nach draußen kommt, hört sie Teds Mutter sagen: »Gib mir den Kleinen, schnell, bevor …« Den Rest des Satzes schluckt sie hinunter, als sie Elina auf der Terrasse bemerkt. Ohne jemanden anzusehen, setzt sich Elina zu Teds Vater auf eine Decke.
    Harriet steht auf und reicht Jonah an Teds Mutter weiter.
Die gibt ein leises, unverständliches Geräusch von sich, und bevor Elina schnell wieder den Blick senkt, sieht sie die langen, scharfen Nägel an Jonahs Wange. Diese Frau wird Jonah nach ihrem Geschmack formen. Ihm die strubbeligen Haare glatt streichen. Ihm das Jäckchen bis zum Hals zuknöpfen. Ihm die Söckchen hochziehen oder beanstanden, dass er keine trägt. Ihm die Ärmel bis über die Fäustchen ziehen.
    Elina kann das nicht mit ansehen. Sie blickt sich im Garten um. Harriet liegt auf

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