Die Hand die damals meine hielt - Roman
kurz herkommen kann?«
Keine Minute später schlüpft Ted zu ihr herein. Elina war noch nie so f roh, ihn zu sehen.
»Du großer Gott«, sagt er, während er sich umschaut. »Was ist denn hier passiert?«
»Wonach sieht es denn aus?«, gibt sie müde zurück. »Kannst du mir Jonah abnehmen?«
Er zögert, blickt an seiner Kleidung hinunter.
»Du kannst entweder Jonah nehmen oder die Kacke wegmachen«, sagt sie über das Gebrüll hinweg. »Du hast die Wahl.«
Ted nimmt seinen schreienden, strampelnden Sohn und hält ihn mit ausgestreckten Armen von sich. Elina wischt ihn noch einmal sauber, dann legt sie ihm die Windel an.
»Okay. Die sauberen Sachen liegen hier. Du ziehst ihn an, ich putze.«
Ted quetscht sich zum Waschbecken durch, und Elina kauert sich hin, um die Bescherung von den Wänden, von der Fußleiste, vom Boden zu wischen. Als sie fertig ist, schlängelt sie sich an Ted vorbei nach draußen. Der ist immer noch damit beschäftigt, Jonah das auf links gedrehte Hemdchen anzuziehen.
Sie lehnt sich mit dem Rücken an die Wand und schließt die Augen. Jonahs Gebrüll geht in ein unregelmäßiges heiseres Schluchzen über. Wenig später hört sie Ted aus dem Gästeklo kommen. Als sie die Augen wieder aufmacht, ist ihr Sohn vor ihr, die Augen nass von Tränen, den Daumen fest im Mund.
»Du brauchst etwas Sauberes zum Anziehen«, sagt Ted.
Seufzend schlägt Elina die Hände vors Gesicht. »Können wir nach Hause fahren?«, fragt sie dumpf.
Ted zögert. »Meine Mutter hat gerade eine Kanne Tee gemacht. Hättest du etwas dagegen, wenn wir so lange noch bleiben? Danach fahren wir auch sofort.«
Sie nimmt die Hände herunter; er weicht ihrem Blick aus. Am liebsten würde sie wieder einen Streit vom Zaun brechen, Grund genug dafür hätte sie, aber bevor sie dieser Versuchung nachgibt, fällt ihr etwas ein. »Was ich dich noch fragen wollte. Ist alles in Ordnung mit dir?«
Er sieht sie an. »Wieso?«
»Du hast es wieder gemacht.«
»Was?«
Sie imitiert sein Blinzeln. »Das.«
»Wann?«
»Im Garten. Gerade eben. Und du kommst mir ein bisschen so vor, als ob du neben dir stehst.«
»Unsinn.«
»Nein. Was ist los mit dir? Hattest du wieder etwas mit den Augen? Musstest du …«
»Alles bestens. Mir geht es gut.« Ted legt sich Jonah an die Schulter. »Ich f rag meine Mutter, ob Sie dir etwas zum Anziehen leihen kann«, sagt er und ist verschwunden.
Elina geht hinter Teds Mutter die Wendeltreppe hinauf, immer höher, vorbei an lauter geschlossenen Türen. In diesem Teil des Hauses ist sie noch nie gewesen. Nie weiter als bis zu dem »Salon« im ersten Stock. Aber jetzt folgt sie Teds Mutter noch zwei Etagen höher, in ein beige ausgelegtes Schlafzimmer mit gerafften Vorhängen, die von Schals mit Quasten gehalten werden.
»Hm«, sagt Teds Mutter, während sie den Kleiderschrank aufmacht. »Ob wir etwas finden, das Ihnen passt? Sie sind ja nun doch etwas stattlicher gebaut als ich.« Sie schiebt einen Bügel zur Seite, dann den nächsten. »Ich meine, von der Größe her.«
Elina geht zum Fenster und sieht hinunter auf die Straße, auf den Platz, in die Gärten, auf die Bäume, die sich leicht im Wind wiegen. Die Blätter verfärben sich bereits orangebraun. Ob es tatsächlich schon Herbst werden will?
»Wie wäre es damit?«
Teds Mutter hat ein bräunliches Jerseykleid in der Hand. »Super«, sagt Elina. »Danke.«
»Sie können sich gleich hier nebenan umziehen.« Sie hält Elina die Tür zum Ankleidezimmer auf.
Die Tapeten haben ein Muster aus großen gelben Chrysanthemen und Ranken. Neben dem Fenster steht eine Frisierkommode mit einem erstaunlichen Sortiment an Fläschchen, Tiegeln und Tuben. Während Elina ihren Rock aufhakt und zu Boden gleiten lässt, tritt sie neugierig näher.
Mit schiefgelegtem Kopf liest sie: »Anti-ageing Formel« und »Straffende Hals- und Dekolleté-Creme.« Sie grinst - wer hätte das gedacht, dass Teds Mutter derart exzessiv der Schönheitspflege f rönt? Da sieht sie sich plötzlich selbst im Spiegel - ohne Rock, in einer verdreckten Bluse, mit strubbeligen Haaren. Hastig reißt sie sich die Bluse vom Leib und zieht das scheußliche Kleid an. Während sie mit dem Reißverschluss kämpft, macht sie eine Entdeckung.
Hinter der Frisierkommode lugt die rechtwinklige Ecke eines Keilrahmens hervor. Ausgerechnet hier, im Ankleidezimmer von Teds Mutter. Er passt so wenig hierher, dass sie fast lachen muss.
Zuerst denkt sie sich nichts weiter dabei. Sie findet es
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