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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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Weiten, die rot-weißen Holzhäuser, das Gefühl, so weit zu fahren, bis es nicht mehr weitergeht, bis Erde und Steine aufhören und es nur noch Wasser gibt, platschendes, aufgewühltes Wasser, und erst dann ist man angekommen, hält man an auf dem Kies neben der Veranda, neben den Bäumen mit den silbernen Stämmen.
    Sie muss eingeschlafen sein, denn sie träumt, dass sie mit Jonah in Nauvo ist und ihn nicht aus dem Kindersitz heben kann - sie kann die Gurte nicht lösen, die Schnalle nicht öffnen. Und plötzlich merkt sie, dass sie den Kopf an die Autoscheibe presst, und als sie aufwacht, sind sie nicht mehr auf der Hauptstraße, sondern auf einer schmalen, gewundenen Landstraße, die zwischen hohen Hecken hindurch hinunter ans Meer führt in eine Hafenstadt.
    »Sind wir da?«, fragt sie.
    »Noch nicht«, antwortet Simmy, über seine Schulter gewandt. »Wir dachten uns, wir legen hier eine Mittagspause ein.«
    Die Straßen der Stadt sind eng und steil, die Bürgersteige voller Menschen. Sie parken hinter einem öffentlichen Toilettenhäuschen. Der Himmel hängt tief über ihnen, als sie aussteigen. Elina trägt Jonah im Tragetuch; er hat ein ziemliches Gewicht, und sie spürt ihre Halsmuskeln. Simmy und Ted marschieren so zügig den Berg hinauf, dass Elina, die Arme schützend um Jonah geschlungen, kaum mitkommt. Das erste Café lassen sie links liegen; beim zweiten konsultieren
sie kurz die Speisekarte am Eingang und befinden das Angebot als »zu mickrig«; ein Drittes hat ein gutes Angebot, aber keinen freien Tisch; ein anderes hat ein annehmbares Angebot, doch man kann nicht draußen sitzen. Sie gehen den Berg erst hinauf, dann wieder hinunter. Sie gehen die ganze Promenade entlang, vom einen Ende der Stadt bis zum anderen. In der Nähe des Hafens bleiben sie vor einem Pub stehen und diskutieren über die Vorzüge der Leinenfischerei. Jonah wacht auf, merkt, dass er im Tragetuch sitzt, findet es grässlich, schreit und strampelt. Elina wickelt ihn aus und nimmt ihn huckepack auf die Schultern. Er brüllt weiter.
    »Eine Fleischpastete«, sagt Simmy. »Ist denn das zu viel verlangt?«
    Ted späht in das mit Fischernetzen dekorierte Fenster eines Restaurants. »Wieso gibt es eigentlich in jedem Seebad Scampi?«, brummelt er. »Es ist ja schließlich nicht so, als ob man die Dinger hier fangen würde.«
    Als Elina Jonahs Position ein wenig verändert, fällt ihr das lange, violette Tragetuch herunter, und sie muss in die Knie gehen, um es aufzuheben. Eine Mutter mit zwei verschieden alten Kindern in einem rosafarbenen, chromglitzernden Zwillingsbuggy mustert sie mit fassungslosem Abscheu. Elina sieht an sich hinunter. Sie trägt eine gestreifte Strumpfhose, von der sie die Füßlinge abgeschnitten hat, abgewetzte Turnschuhe, ein Kleid, das ihr eine Freundin genäht hat. Es hat einen zipfeligen Saum, asymmetrische Ärmel und einen U-Boot-Ausschnitt. Elina liebt es.
    »Ich setze mich jetzt da vorne hin und stille Jonah«, sagt sie zu den Männern. »Holt mich einfach ab, wenn ihr euch entschieden habt.«
    Elina sucht sich eine Bank im Windschatten der Hafenmauer.
In ihrem Zipfelsaumkleid macht sie es sich mit Jonah im Arm bequem. Während sie noch mit ihrem Kleid beschäftigt ist und sich den BH aufhakt, wird er vor Hunger und Wut stocksteif. Gierig wie ein Despot aus Tudorzeiten, der sich über ein Bankett hermacht, saugt er die Milch in sich hinein. Sie sieht währenddessen aufs Meer. Die Mauer, die einen großen Bogen beschreibt, streckt sich wie ein beschützender Arm ins Wasser hinaus. Elina runzelt die Stirn. Ihr ist so, als hätte sie dieses Bild schon einmal gesehen. War sie schon einmal in dieser Stadt? Sie glaubt es nicht.
    Das Meer hebt und senkt sich, zieht sich von der Mauer zurück, kommt wieder. Als sie schon glaubt, im nächsten Augenblick vor Hunger von der Bank zu kippen, taucht Simmy bei ihr auf. »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat«, sagt er. »Es ist überall brechend voll. Wir haben dann doch nur Sandwiches gekauft.« Er hält ihr ein braunes Päckchen hin. »Käse und Mixed Pickles, in Ordnung?«
    Sie nickt. »Hauptsache essbar.« Als sie versucht, es mit einer Hand zu öffnen, nimmt Simmy es ihr ab und sagt: »Entschuldige, da hätte ich auch selbst dran denken können.« Er wickelt ihre Brote aus und legt sie ihr, die entblößte Brust geflissentlich übersehend, aufs Knie. Sie nimmt einen Bissen und blickt sich suchend nach Ted um.
    Er ist nicht in der unmittelbaren Nähe, er ist

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