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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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nicht auf der Hafenmauer. »Wo ist Ted?«, fragt sie.
    Simmy zuckt mit den Schultern und beißt ebenfalls in sein Sandwich. »Wahrscheinlich pinkeln.«
    »Aha.«
    Nachdem Elina ein Brot gegessen hat, ordnet sie ihr Kleid, lässt Jonah ein Bäuerchen machen, tupft sich einen Faden ausgespuckter Milch von der Brust und trinkt einen Schluck Wasser.

    »Soll ich ihn mal ein bisschen nehmen?«, fragt Simmy.
    Elina reicht ihm den Jungen hinüber. »Hallo«, sagt Simmy feierlich, während er ihn sich auf den Schoß setzt. »Na, wie hat dir dein Mittagessen geschmeckt? Gab es schon wieder Milch?« Jonah starrt ihn gebannt an.
    Elina steht auf, schwingt die Arme über den Kopf. Sie sieht zum Hafen hinüber. Keine Spur von Ted. Sie wirft einen Blick auf die Bank, wo ein Päckchen mit Sandwiches auf ihn wartet. Elina entfernt sich ein paar Schritte und sieht in die andere Richtung. Nichts. Wo kann er nur abgeblieben sein? Elina läuft die schmalen, hervorspringenden Stufen in der Hafenmauer hinauf. Oben findet sie sich auf einer steinernen Plattform wieder, die sich steil dem Meer zuneigt. Sie hält sich die Haare aus dem Gesicht und schaut sich suchend um.
    »Kannst du ihn sehen?«, fragt Simmy von unten.
    »Nein.«
    Und dann sieht sie ihn plötzlich doch. Er kommt um die Biegung der grauen Mauer. Wahrscheinlich ist er bis ans Ende gegangen. Aber er hat etwas an sich, was sie in Angst und Schrecken versetzt. Wie er mit dem rechten Arm den linken umklammert, wie er den Kopf hängen lässt. Der stockende, unregelmäßige Gang. Elina macht ein paar Schritte auf den schiefen Steinen. Als sie die Hand hebt, um ihm zu winken, wendet Ted sich ab. Er starrt ins Meer, das genau unter ihm auf und nieder schwappt, und sie hat fast das Gefühl, dass er hineinspringen will, dabei geht Ted nie schwimmen, sie weiß noch nicht mal, ob er es überhaupt kann - allein der Gedanke sei ihm zuwider, sagt er immer, und er verstehe nicht, was irgendjemand daran finden könne. Doch dann taumelt er vom Wasser zurück und schlägt hin. Oder stolpert. Oder bricht zusammen. Sie kann es nicht sagen.

    Elina ruft seinen Namen, doch der Wind reißt ihr den Schrei von den Lippen. Sie rennt los, aber sie ist eine ganze Ebene über ihm, und es gibt keinen Weg nach unten, und als sie doch noch eine Treppe findet, ist sie ausgetreten und steil, und sie muss sich in Acht nehmen, dass sie nicht ausrutscht und stürzt. Als sie endlich bei ihm ist, hat sich bereits ein Auflauf um ihn gebildet. Simmy ist auch da, mit Jonah auf dem Arm - Elina kann seinen gestreiften Hemdrücken erkennen. Er beugt sich über Ted, horcht an seiner Brust. Anscheinend merken die Menschen, die sich um Ted geschart haben, dass sie zu ihm gehört, oder aber sie sehen auch nur ihre Panik, denn sie bilden eine Gasse und lassen sie durch, und schon kniet sie neben ihm auf den nassen Steinen und nimmt seine Hand; sie streichelt ihm über den Kopf, sie redet erst auf Finnisch und dann auf Englisch auf ihn ein, und als der Krankenwagen kommt, fährt sie mit, und sie lässt seine Hand nicht los.
    Danach heißt es warten. Warten und Formulare ausfüllen. Umzüge von einem Krankenhausgang in den nächsten. Und für Elina immer wieder die gleichen Fragen von vielen verschiedenen Leuten. Wie alt ist Ted? Wo wohnt er? Wie lautet sein vollständiger Name? Nimmt er Medikamente? Nimmt er Drogen? Gibt es in seiner Familie Herzversagen, Diabetes, niedrigen Blutdruck? Ist so etwas schon einmal passiert? Nein, sagt Elina, nein, keine Drogen, keine Medikamente, Roffe, Ted Roffe, Theodore Roffe. Jemand bringt ihr eine Tasse Tee, und später besorgt ihr jemand frische Windeln für Jonah. Danke, sagte Elina, und sie sagt es oft, danke, danke sehr.
    Simmy und sie warten in einem Korridor. Jonah ist quengelig und weint, er trinkt noch einmal und erbricht sich mit großer Selbstverständlichkeit auf den Nachbarstuhl. Er fasst
in Elinas Haare und nuckelt wütend an einer Strähne, dann untersucht er die Verschlüsse an Simmys Jacke. Er wirkt ratlos und ungeduldig, als ob er nicht begreifen kann, warum man ihn vom Meer weggebracht und in diesen kahlen, beigefarbenen Krankenhausgang verf rachtet hat. Elina schaukelt ihn rhythmisch auf ihrem Schoß, aber Jonah macht seine Beine steif, und sie weiß jetzt schon, dass ihre Oberschenkel morgen über und über mit kleinen blauen Flecken übersät sein werden.
    Dann schwirren plötzlich Ärzte und Assistenzärzte und Schwestern herbei, um ihnen zu sagen, dass es eine gute

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