Die Hand die damals meine hielt - Roman
zurückgespult werden. Aufgepasst. Innes saugt eine Rauchwolke ein, nimmt eine Zigarettenkippe aus dem Aschenbecher, hüllt Lexie in ein Hemd und schubst sie von sich, die Kissen springen aufs Bett, und Lexie saust zurück zum Fenster. Dann liegen sie wieder im Bett, beide nackt, und es ist schon erstaunlich, dass Sex im Rücklauf auch nicht viel anders aussieht, abgesehen davon, dass sie einander jetzt liebevoll ein Kleidungsstück nach dem anderen anziehen, dann flitzen sie zur Tür hinaus, laufen die Treppe hinunter, und Innes zieht seinen Schlüssel aus dem Schloss. Der Film wird schneller. In Innes’ Auto rasen sie rückwärts die Straße entlang, Lexie mit Kopftuch. In einem Restaurant stochern sie sich mit der Gabel das Essen aus dem Mund und legen es auf den Teller; jetzt sind sie wieder im Bett, und dann fliegen ihre Kleidungsstücke auf sie zu. Eine Frau mit einem roten Pillbox-Hut ist zu sehen, die sich rückwärts von Lexie entfernt. Und da ist wieder Lexie, die an einem Gebäude in Soho hinaufblickt und dann ein paar Schritte zurückwatschelt. Lexie steigt rückwärts eine lange, düstere Treppe hinauf. Der Film wird immer schneller. Ein Zug kommt aus einem großen, verqualmten Bahnhof, rattert rückwärts über Land; an einem kleinen Bahnhof sieht man Lexie aussteigen
und ihren Koffer abstellen. Ende des Films. Wir sind genau wieder da angekommen, wo wir stehen geblieben waren.
Lexies Mutter hat ihr zwei gute Ratschläge mit nach London auf den Weg gegeben: 1. Such dir eine Stelle als Schreibkraft in einer großen, erfolgreichen Firma, »dann lernst du die richtigen Männer kennen«. 2. Betritt nie ein Zimmer, in dem sich ein Mann und ein Bett befinden.
Ihr Vater sagte: Schlag dir die Uni endgültig aus dem Kopf. Studieren macht unweiblich.
Ihre jüngeren Geschwister sagten: Du musst unbedingt die Königin besuchen.
Ihre Tante, die in den Zwanzigerjahren eine Zeitlang in London gelebt hatte, riet ihr, nie mit der U-Bahn zu fahren (sie sei schmutzig und voller unappetitlicher Gestalten), nie ein Café zu besuchen (dort wimmele es von Bazillen), stets einen Hüfthalter zu tragen und immer einen großen Bogen um Soho zu machen.
Selbstverständlich schlug sie sämtliche Tipps in den Wind.
Lexie stand in der Tür, den Koffer in der Hand. Die möblierte Kammer im Dachgeschoss eines hohen, schmalen Reihenhauses hatte eine niedrige Decke mit fünf verschiedenen Schrägen. Die Tür und der Rahmen, die Fußleisten, der mit Brettern vernagelte offene Kamin und der Schrank unter dem Fenster waren samt und sonders gelb gestrichen. Nicht leuchtend gelb - oder, wenn man so will, osterglockengelb - sondern ein kränkliches, blasses, schmutziges Gelb. Das Gelb von Greisengebissen, von Kneipendecken. Wo die Farbe
abgeblättert war, kam ein düsteres Braun zum Vorschein. Irgendwie tat Lexie der Gedanke gut, dass hier jemand hatte wohnen müssen, der von einer noch hässlicheren Farbe umgeben war als sie selbst.
Sie ging ein paar Schritte ins Zimmer hinein und stellte ihren Koffer hin. Das enge Bett hing durch, das Kopfteil war schief. Das Oberbett hatte ein verschossen violettes Schnörkelmuster. Als Lexie es zurückschlug, sah sie, dass die Matratze grau, fleckig und durchgelegen war. Schnell breitete sie es wieder darüber. Sie zog ihre Jacke aus und blickte sich nach einem Haken um. Es gab keinen. Sie hängte ihn über die Lehne des einzigen Stuhls, der auch irgendwann einmal eine gelbe Schicht Farbe abbekommen hatte, hellgelb, aber eine etwas andere Schattierung als die Fußleisten. Anscheinend hatte ihre Wirtin einen Gelbfimmel.
Mrs. Collins, eine dünne Frau im Hauskleid und mit schillernd schattierten Lidern, hatte sie an der Haustür mit der Frage empfangen: »Sie sind doch hoffentlich keine Italienerin?«
Lexie hatte verdutzt mit Nein geantwortet und zurückgefragt, ob sie etwas gegen Italiener habe.
»Kann sie nicht ausstehen«, grummelte Mrs. Collins, während sie kurz verschwand und Lexie solange in der Diele mit der braunen Tapete, die sich stellenweise ablöste, dem Telefon an der Wand und der Hausordnung warten ließ. »Alles schmierige Typen. Hier sind Ihre Schlüssel.« Mrs. Collins kam aus dem Wohnzimmer und drückte ihr zwei Türschlüssel in die Hand, »einen für unten, einen für Ihr Zimmer. Es gelten die üblichen Regeln.« Sie zeigte auf den Aushang am Schwarzen Brett. »Keine Herrenbesuche, keine Haustiere, immer einen Aschenbecher benutzen, das Zimmer sauber halten, nie mehr als zwei
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