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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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Sie behielt das Haus am Myddleton
Square und blieb mit dem Kind, Margot, dort wohnen. Irgendwo muss es Geld gegeben haben - auf Glorias Seite vielleicht? -, denn Innes kaufte sich eine Wohnung am Haverstock Hill und nahm Ferdinanda bei sich auf.
    Sie ist das eigentliche Opfer dieser Geschichte. Als Innes bei ihr auftauchte, erkannte sie ihn nicht mehr. Gloria hatte ihr erzählt, Innes sei tot, im Kampf gefallen, vom deutschen Nachthimmel geschossen. Darin vor allem liegen Innes’ Hass und Bitterkeit gegen seine Frau begründet. Warum sie es getan hat? Das wusste nur Gloria, und sie sagte es nicht. Vielleicht glaubte sie, ihr junger Ehemann würde nicht wieder zurückkommen, oder sie fand Gefallen an dem schönen, großen Haus. Vielleicht schikanierte Ferdinanda sie. Oder sie tat es, weil sie, so lange sie mit ihrer Schwiegermutter unter einem Dach wohnte, das Kind nicht als Innes’ ausgeben konnte. Ferdinanda führte Kalender. Sie strich die Tage ab und rechnete aus, wie lange sie ihren geliebten Sohn nicht mehr gesehen hatte. Auf eine zwanzig Monate dauernde Schwangerschaft wäre sie niemals hereingefallen. Also musste sie aus dem Weg geschafft werden.
    Die Nachricht vom Tod ihres Sohnes stürzte Ferdinanda in eine tiefe Umnachtung. Innes holte sie aus dem katholischen Heim und kümmerte sich um sie, bis sie starb. Sie sei, so beschrieb er es, ihm gegenüber stets höflich, aber distanziert geblieben. Sie redete ihn mit »junger Mann« an und erzählte ihm von ihrem Sohn, der im Krieg gefallen war.
    Gloria litt darunter, dass Innes nun Lexie in seinem Leben hatte. Keine seiner anderen Frauengeschichten hatte ihr derart zugesetzt. Mal weinend, mal Geld fordernd tauchte sie in regelmäßigen Abständen in der Redaktion auf. Sie klingelte früh morgens an der Wohnungstür. Sie machte Innes in Treppenhäusern, Restaurants, Theaterfoyers und
Kneipeneingängen tränenreiche Szenen, ihre Tochter immer stumm hinter ihr. Diese Heimsuchungen schienen in Wellen zu erfolgen: Manchmal mussten Lexie und Innes gleich zwei in einer Woche über sich ergehen lassen, manchmal ließ sich Gloria monatelang nicht blicken. Dann kam sie plötzlich mit klappernden Absätzen wieder die Bayton Street heraufgestöckelt. Sie schrieb Innes Briefe, in denen sie ihn beschwor, sich auf sein feierliches Gelöbnis zu besinnen. Innes riss sie in kleine Stücke und warf sie ins Feuer. Einen Sommer lang sah Lexie, wenn sie morgens das Haus verließ, oft die Tochter auf einer Gartenmauer hocken. Margot sagte kein Wort zu ihr, suchte keinen Kontakt, und Lexie behielt diese Begegnungen Innes gegenüber für sich. Einmal saß Lexie in der U-Bahn, und als sie von ihrer Zeitung hochblickte, saß ihr das Mädchen auf einmal gegenüber, einen Schultornister auf dem Schoß, die wässrigen Augen auf Lexies Gesicht geheftet.
    Lexie stand auf und hielt sich an der Haltestange fest. »Was soll das?«, fragte sie leise. »Was willst du von mir?«
    Das Mädchen sah an Lexies Schulter vorbei. Ihre wachsweißen Wangen verfärbten sich rot.
    »Es nützt doch nichts, Margot«, sagte Lexie. Die Bahn schlingerte um eine Kurve, und sie musste sich festklammern, um nicht auf das Mädchen geschleudert zu werden. »Ich bin nicht schuld an dieser Situation. Das musst du mir glauben.«
    Damit schien sie einen wunden Punkt berührt zu haben. Das Mädchen riss den Kopf hoch und packte seinen Tornister fester. »Aber ich glaube Ihnen nicht«, entgegnete sie. »Nein, ich glaube Ihnen nicht.«
    »Ich gebe dir mein Ehrenwort, dass es nicht meine Schuld ist.«

    Margot erhob sich. Der Zug lief in Euston ein. »Es ist ist Ihre Schuld«, fauchte sie. »Ihre Schuld. Sie haben ihn uns weggenommen, und das werden Sie mir noch büßen. Verlassen Sie sich darauf. Sie werden schon sehen.« Sie stieg aus und verschwand, und Lexie begegnete ihr erst Jahre später wieder.

N achdem Ted von der Hauptstraße abgebogen ist und nur noch zweihundert Meter vor sich hat, setzt er zum Sprint an. Seine Füße schlagen klatschend auf den Bürgersteig, seine Arme schwingen vor und zurück, vor und zurück, das Blut rast durch seinen Körper, er schnappt nach Luft. Kies spritzt auf, als er schweißnass das Haus seiner Eltern erreicht. Gebückt hält er sich am Zaun fest, und seine Brust hebt und senkt sich, hebt und senkt sich, bevor er so weit wiederhergestellt ist, dass er sich aufrichten und auf den Klingelknopf drücken kann.
    Es dauert eine ganze Weile, bis seine Mutter ihm aufmacht.
    »Liebling«,

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