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Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number

Titel: Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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sein.«
    Verträumt strich sie mit den Fingerspitzen über ihre Goldlockenperücke, als wollte sie sie auf besonders feenhafte Weise arrangieren. Das Lächeln in ihrem Gesicht erinnerte Gurney an einen Fixer nach dem Schuss.
    Auch Dermott beobachtete sie. Doch sein Blick war nicht der eines treuen Sohnes; seine Zunge bewegte sich zwischen den Lippen hin und her wie ein kleiner schlüpfriger Parasit. Dann wandte er sich wieder dem Zimmer zu.
    »So, ich glaube, wir können anfangen.« Er setzte sich aufs Bett, beugte sich über die Beine der Frau zur anderen Seite und nahm dabei die Gans von der Truhe. Er ließ sich neben ihr in die Kissen sinken und setzte sich die Gans auf den Schoß. »Jetzt bin ich fast fertig.« Der fröhliche
Ton hätte zu jemandem gepasst, der eine Kerze auf einen Geburtstagskuchen stellt. Stattdessen ließ er, ohne den Finger vom Abzug zu nehmen, den Revolver in eine tiefe Tasche im Rücken der Gans gleiten.
    Heilige Scheiße! Hat er auf diese Weise Mark Mellery erschossen? Sind so die Reste von Gänsedaunen in die Halswunde und in das Blut am Boden gelangt? Kann es sein, dass Mellery im Moment seines Todes eine Stoffgans angestarrt hat?
    Die Vorstellung war so grotesk, dass Gurney kaum dem hysterischen Drang widerstehen konnte, laut aufzulachen. Oder war es nur ein von Angst verursachter Krampf? Wie auch immer, es war ein starkes Gefühl, das plötzlich von ihm Besitz ergriffen hatte. Er war schon einigen Irren begegnet - Sadisten, Lustmördern aller Richtungen, Soziopathen mit Eispickeln, sogar Kannibalen -, doch noch nie hatte er nach einem Ausweg aus einem derart komplexen Alptraum suchen müssen, während er nur ein Fingerzucken von einer Kugel im Schädel entfernt war.
    »Lieutenant Nardo, stehen Sie bitte auf. Es ist Zeit für Ihren Auftritt.« Dermotts Ton war unheilvoll, theatralisch, ironisch.
    Plötzlich flüsterte die Frau so leise, dass Gurney zuerst nicht wusste, ob er es sich nur einbildete: »Dickie-Dickie-Dickie Duck. Dickie-Dickie-Dickie Duck. Dickie-Dickie-Dickie Duck.« Es klang eher nach dem Ticken einer Uhr als nach einer menschlichen Stimme.
    Gurney beobachtete, wie Nardo die Hände löste und seine Finger anspannte und streckte. Die Leichtigkeit, mit der er sich aus seiner Position auf dem Boden erhob, sprach für seine Fitness. Sein harter Blick wanderte von dem merkwürdigen Paar auf dem Bett zu Gurney und wieder zurück. Wenn ihn irgendetwas in Staunen versetzte, so
war seiner versteinerten Miene nichts anzumerken. Doch die Art, wie er die Gans und Dermotts Arm beäugte, ließ darauf schließen, dass ihm klar war, wo sich die Waffe befand.
    Mit der freien Hand streichelte Dermott den Rücken des Stoffvogels. »Bevor wir anfangen, eine letzte Frage zu Ihren Absichten, Lieutenant. Werden Sie sich an das halten, was ich Ihnen sage?«
    »Klar.«
    »Nun, das soll mir als Antwort genügen. Ich möchte Ihnen eine Reihe von Anweisungen erteilen, die Sie genau befolgen müssen. Sind wir uns darin einig?«
    »Ja.«
    »Wenn ich etwas weniger gutgläubig wäre, könnte ich Zweifel an Ihrer Ehrlichkeit bekommen. Ich hoffe, Sie erkennen die Lage. Ich möchte die Karten offen auf den Tisch legen, um alle noch verbliebenen Missverständnisse auszuräumen. Ich habe beschlossen, Sie zu töten. Dieser Aspekt steht also nicht mehr zur Diskussion. Die einzige Frage ist, wann ich Sie töte. Über diesen Teil der Gleichung bestimmen allein Sie. Können Sie mir so weit folgen?«
    »Sie töten mich. Aber ich entscheide, wann.« Nardo sprach mit einer gelangweilten Verachtung, die Dermott zu amüsieren schien.
    »So ist es, Lieutenant. Sie entscheiden, wann. Aber natürlich nur bis zu einem gewissen Punkt, denn alles muss letztlich einen angemessenen Abschluss finden. Bis dahin können Sie am Leben bleiben, wenn Sie sagen und tun, wozu ich Sie auffordere. Können Sie mir immer noch folgen?«
    »Ja.«
    »Bitte denken Sie daran, dass Sie mittels schlichter
Nichtbefolgung meiner Anweisungen zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit haben, sofort zu sterben. Durch Wohlverhalten können Sie Ihr Leben um wertvolle Momente verlängern. Durch Ungehorsam verkürzen Sie es. Einfacher geht es nicht.«
    Nardo starrte ihn unverwandt an.
    Gurney, der damit rechnete, dass die emotionale Dynamik zwischen den beiden Männern vor ihm in den nächsten Sekunden zu einer Explosion führen musste, ließ die Füße einige Zentimeter zu den Stuhlbeinen zurückgleiten, um sich möglichst kraftvoll auf das Bett stürzen zu

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