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Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number

Titel: Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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sie wüst, aber ihren Namen nennen Sie nicht. Sie haben nicht den geringsten Respekt vor ihr. Vielleicht haben Sie den Namen schon vergessen, weil Sie ihn so lange nicht mehr gesagt haben.«
    »Aber Sie kennen ihren Namen?«
    »Natürlich. Sie ist doch meine Mutter. Natürlich kenne ich den Namen meiner Mutter.«
    »Wie heißt sie also?«
    »Es spielt keine Rolle. Es interessiert Sie nicht.«
    »Trotzdem würde ich ihn gern erfahren.«
    »Ihr Name hat nichts in Ihrem schmutzigen Gehirn verloren.«
    »Wenn ich ihren Mann spielen soll, muss ich ihren Namen kennen.«
    »Was Sie kennen müssen, bestimme ich.«
    »Ich kann das nicht machen, wenn ich nicht weiß, wer diese Frau ist. Ist mir egal, was Sie sagen - mir leuchtet es einfach nicht ein, dass ich nicht mal den Namen meiner eigenen Frau kenne.«
    Gurney hatte keine Ahnung, was Nardo bezweckte.
    War ihm endlich klar geworden, dass er nachspielen sollte, wie der betrunkene Jimmy Spinks vor vierundzwanzig Jahren genau in diesem Haus Felicity Spinks angegriffen hatte? Hatte er begriffen, dass Gregory Dermott, der das Haus vor einem Jahr gekauft hatte, das Kind von Jimmy und Felicity war - der damals achtjährige Junge, der nach der Familientragödie in staatliche Obhut gekommen war? War er zu der Erkenntnis gelangt, dass die alte Frau auf dem Bett mit der Narbe am Hals niemand anders war als Felicity Spinks - die der erwachsene Sohn offenbar aus einem Pflegeheim zu sich geholt hatte?
    Wollte Nardo offenlegen, worum es bei der kleinen Aufführung eigentlich ging, um deren verhängnisvolle Dynamik
zu durchbrechen? Hatte er vor, seinen Gegner abzulenken, in der Hoffnung, einen Ausweg zu finden? Oder stocherte er nur blind im Dunkeln herum, um Dermotts Vorhaben möglichst lang hinauszuzögern?
    Allerdings bestand auch eine andere Möglichkeit. Was Nardo tat und wie Dermott darauf reagierte, folgte vielleicht überhaupt keinem rationalen Muster mehr. Unter Umständen waren sie auf einen trivialen Nebenschauplatz geraten wie zwei kleine Jungen im Sandkasten, die aus nichtigem Anlass mit Plastikschaufeln aufeinander losgehen, oder wie zornige Männer, die sich bei einer Barschlägerei zu Tode prügeln. Beklommen kam Gurney zu der Einsicht, dass viel für diese letzte Vermutung sprach.
    »Ob es Ihnen einleuchtet, ist ohne jede Bedeutung.« Wieder korrigierte Dermott den Winkel der Gans um einen halben Zentimeter, während er Nardos Hals fixierte. »Nichts, was Sie denken, ist von Bedeutung. Und jetzt ist es an der Zeit, dass Sie sich ausziehen.«
    »Sagen Sie mir erst ihren Namen.«
    »Es ist an der Zeit, dass Sie sich ausziehen, die Flasche zertrümmern und wie ein nackter Affe aufs Bett springen. Wie ein blödes, sabberndes, hässliches Monster.«
    »Wie heißt sie?«
    »Es ist Zeit.«
    Gurney bemerkte eine leichte Bewegung an Dermotts Unterarmmuskeln - offenbar spannte sich sein Finger um den Abzug.
    »Sagen Sie mir einfach ihren Namen.«
    Inzwischen war für Gurney jeder Zweifel verflogen. Nardo hatte seine Grenze gezogen und setzte nun alles - auch sein Leben - daran, seinen Gegner zu einer Antwort auf seine Frage zu bewegen. Dermott beharrte seinerseits auf hundertprozentiger Kontrolle. Gurney fragte
sich, ob Nardo überhaupt eine Ahnung hatte, wie wichtig die Frage der Kontrolle für den Mann war, den er da in die Knie zwingen wollte. Nach Meinung von Rebecca Holdenfield - und aller anderen Experten auf diesem Gebiet - war Kontrolle für Serienmörder ein Ziel, das jeden Preis und jedes Risiko wert war. Absolute Kontrolle mit dem daraus resultierenden Gefühl von Allwissen und Allmacht bedeutete höchste Euphorie. Daher war es selbstmörderisch, wenn man sich diesem Ziel ohne Waffe in der Hand offen entgegenstellte.
    Abermals schien Nardo nur eine Handbreit vom Tod entfernt, und diesmal konnte ihn Gurney nicht durch einen Zuruf zur Vernunft bringen. Ein zweites Mal würde diese Taktik nicht funktionieren.
    Wie eine rasende Sturmwolke breitete sich die Mordlust in Dermotts Augen aus. Noch nie hatte sich Gurney so hilflos gefühlt. Ihm fiel nichts ein, womit er den Finger am Abzug aufhalten konnte.
    Doch da hörte er plötzlich eine Stimme, klar und kühl wie reines Silber. Es war ohne jeden Zweifel Madeleines Stimme mit einer Bemerkung, die sie vor Jahren gemacht hatte, als er in einem scheinbar hoffnungslosen Fall nicht weiterwusste.
    »Es gibt nur einen Weg aus einer Sackgasse.«
    Natürlich , dachte er. Ist doch klar. Man muss einfach in die andere Richtung

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