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Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number

Titel: Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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können.
    Dermotts Streichelbewegung brach ab. »Bitte stellen Sie die Füße wieder so hin, wie sie waren«, befahl er, ohne Nardo aus den Augen zu lassen. Gurney tat wie geheißen. Jetzt wusste er, dass Dermott das Geschehen voll im Blick hatte. »Wenn Sie sich noch mal bewegen, erschieße ich Sie beide, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Doch zurück zu Ihnen, Lieutenant.« Sein Ton war wieder gelassen. »Hören Sie mir bitte genau zu, damit Sie Ihrer Aufgabe gewachsen sind. Sie sind Schauspieler in einem Stück. Sie heißen Jim. In dem Stück geht es um Jim, seine Frau und ihren Sohn. Das Stück ist kurz und einfach, hat aber ein bewegendes Ende.«
    »Ich muss pinkeln.« Wieder strich sich die Alte mit den Fingerspitzen über die blonden Kunstlocken.
    »Schon gut, meine Liebe«, antwortete er, ohne sie anzusehen. »Alles wird gut. Alles wird so, wie es immer hätte sein müssen.« Dermott verrückte die Gans auf seinem Schoß ein wenig, wohl um mit dem Revolver genauer auf Nardo anlegen zu können. »Bereit?«
    Wäre Nardos unverwandter Blick giftig gewesen, wäre Dermott schon dreimal tot gewesen. So aber kräuselten
sich nur leicht seine Lippen - vielleicht ein Lächeln, ein Zucken oder ein Zeichen von Erregung.
    »Diesmal möchte ich Ihr Schweigen noch als ein Ja deuten. Doch eine gutgemeinte Warnung. Jede künftige Ambivalenz in Ihrem Verhalten führt sofort zum Ende dieses Stücks und Ihres Lebens. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
    »Ja.«
    »Gut. Der Vorhang hebt sich. Die Aufführung beginnt. Die Jahreszeit ist der Spätherbst. Die Tageszeit ist der späte Abend, lange nach Einbruch der Dunkelheit. Es ist ziemlich trostlos, draußen liegt Schnee, auch ein wenig Eis. Der Abend ähnelt dem heutigen. Sie haben Ihren freien Tag. Sie waren den ganzen Tag in einer Bar und haben zusammen mit Ihren versoffenen Freunden getrunken. So verbringen Sie Ihre freien Tage immer. Das Stück fängt damit an, dass Sie nach Hause kommen. Sie wanken ins Schlafzimmer Ihrer Frau. Ihr Gesicht ist rot vor Zorn. Ihr Blick ist stumpfsinnig und trüb. Sie haben eine Flasche Whiskey in der Hand.« Dermott deutete auf die Flasche Four Roses auf der Truhe. »Sie können die hier benutzen.«
    Nardo trat vor und nahm sie in die Hand.
    Dermott nickte beifällig. »Sie taxieren sie instinktiv als potenzielle Waffe. Sehr gut, sehr angemessen. Sie können sich auf ganz natürliche Weise in die Denkweise Ihrer Figur hineinversetzen. Mit der Flasche in der Hand stehen Sie nun torkelnd am Fuß des Betts. Mit dumpfem Zorn glotzen Sie Ihre Frau, den kleinen Jungen und seine Stoffgans im Bett an. Sie blecken die Zähne, wie ein blöder, tollwütiger Köter.« Dermott hielt inne und musterte Nardos Gesicht. »Ich möchte sehen, wie Sie die Zähne blecken.«

    Nardos Lippen wichen zurück. Gurney konnte erkennen, dass sein Ausdruck nichts Künstliches hatte.
    »Genau!«, jubelte Dermott. »Perfekt! Sie sind wirklich begabt. Mit blutunterlaufenen Augen und Speichel auf den Lippen brüllen Sie jetzt Ihre Frau im Bett an: ›Verdammte Kacke, was macht er hier?‹ Sie deuten auf mich. Meine Mutter antwortet: ›Beruhig dich, Jim, er hat mir und Dickie Duck nur sein Bilderbuch gezeigt.‹ Sie darauf: ›Ich seh kein Scheißbuch.‹ Und meine Mutter: ›Da liegt es doch, auf dem Nachttisch.‹ Aber Sie haben eine schmutzige Fantasie, und das sieht man in Ihrem schmutzigen Gesicht. Die schmutzigen Gedanken quellen aus Ihnen heraus wie der ölige Schweiß durch Ihre stinkende Haut. Meine Mutter fordert Sie auf, im anderen Zimmer zu schlafen, weil Sie betrunken sind. Aber Sie fangen an, sich auszuziehen. Ich rufe, dass Sie verschwinden sollen. Aber Sie ziehen sich ganz aus, bis Sie nackt dastehen und uns angaffen. Ich bin kurz davor, mich zu übergeben. Meine Mutter schreit Sie an, Sie sollen nicht so widerlich sein und aus dem Zimmer verschwinden. Sie antworten: ›Wen nennst du hier widerlich, du Dreckschlampe?‹ Dann zerschlagen Sie die Flasche am Fußende und springen wie ein nackter Affe aufs Bett, die zerbrochene Flasche in der Hand. Im ganzen Zimmer hängt ekelhafter Whiskeygestank. Ihr Körper stinkt. Sie beschimpfen meine Mutter als Schlampe. Sie …«
    »Wie heißt sie?«, unterbrach ihn Nardo.
    Dermott blinzelte zweimal. »Das spielt keine Rolle.«
    »Klar spielt das eine Rolle.«
    »Ich sage nein.«
    »Warum nicht?«
    Dermott schien leicht verdutzt. »Es spielt keine Rolle, wie sie heißt, weil Sie ihren Namen nie aussprechen. Sie
beschimpfen

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