Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number
spannend«, warf Kline ein. »Aber ich begreife nicht ganz. Könnte mich einer von Ihnen bitte ins Bild setzen?«
»Gänsedaunen!«, donnerte Thrasher, als wäre Kline schwerhörig.
Klines Gesichtsausdruck freundlicher Verwirrung erstarrte.
Dann dämmerte es Hardwick. »Das leise Schussgeräusch zusammen mit dem Fund von Gänsedaunen lässt darauf schließen, dass die Waffe in eine Art Steppstoff gewickelt wurde, um die schalldämpfende Wirkung zu erzielen - ein Skianorak vielleicht oder ein Parka.«
»Wollen Sie behaupten, dass man einen Anorak als Schalldämpfer verwenden kann?«
»Nicht unbedingt. Aber wenn ich eine Waffe in der Hand halte und sie mehrfach - vor allem um die Mündung - mit dickem Stoff umwickle, dann ist es möglich, dass der Knall zu einer Art Klatschen wird für jemanden, der ihn aus einem gut isolierten Haus mit geschlossenen Fenstern hört.«
Allen bis auf Rodriguez schien diese Erklärung einzuleuchten. »Bevor ich das glaube, möchte ich erst mal Testergebnisse sehen.«
»Sie glauben also nicht, dass es ein richtiger Schalldämpfer war?« In Klines Stimme lag ein Hauch von Enttäuschung.
»Könnte es natürlich auch gewesen sein«, bemerkte Thrasher. »Aber dann müsste man eine andere Erklärung für die mikroskopisch kleinen Daunenpartikel finden.«
»Also«, fasst Kline zusammen, »der Mörder erschießt sein Opfer aus kürzester Entfernung …«
»Nicht aus kürzester Entfernung«, unterbrach ihn Thrasher. »Für einen Kontakt der Mündung mit dem Opfer gibt es keine Anzeichen.«
»Aus welcher Distanz also?«
»Schwer zu sagen. Es gibt einige punktartige Schmauchspuren
am Hals, das heißt also nicht weiter weg als eineinhalb Meter, aber es sind zu wenige, um ein klares Muster zu bilden. Vielleicht war die Waffe auch näher dran, und die Schmauchspuren wurden von dem Stoff um die Mündung verringert.«
»Aber eine Kugel haben Sie wohl nicht zufällig entdeckt.« Rodriguez richtete seine Kritik an eine Stelle zwischen Thrasher und Hardwick.
Gurney merkte, dass er unwillkürlich den Kiefer anspannte. Auch er hatte schon für Leute wie Rodriguez gearbeitet - Leute, die ihren Kontrollwahn mit Führungsstärke und ihre Negativität mit Objektivität verwechselten.
Thrasher übernahm die Antwort. »Die Kugel hat die Wirbelsäule verfehlt. Im Halsgewebe selbst gibt es nicht viel, was sie aufhalten könnte. Wir haben eine Eintritts-und eine Austrittswunde - beide übrigens bei den vielen später zugefügten Stichverletzungen nicht gerade leicht zu finden.« Wenn er auf Komplimente aus war, dann hatte er sich das falsche Publikum ausgesucht. Rodriguez’ fragender Blick wanderte zu Hardwick.
Dieser schlug wieder seinen an Insubordination grenzenden Ton an. »Wir haben nicht nach einer Kugel gesucht. Dazu hatten wir keine Veranlassung.«
»Aber jetzt schon.«
»Da haben Sie völlig Recht, Sir.« Umstandslos zückte Hardwick sein Handy, gab eine Nummer ein und verließ den Tisch. Trotz seiner gesenkten Stimme war nicht zu überhören, dass er mit einem Beamten am Tatort sprach und ihn aufforderte, sofort nach der Kugel zu suchen. Als er wieder an seinen Platz zurückkehrte, fragte Kline, ob bei einem im Freien abgegebenen Schuss überhaupt Hoffnung bestand, die Patrone zu finden.
»Eher nicht«, erwiderte Hardwick. »Aber in diesem Fall haben wir eine Chance. Ausgehend von der Position der Leiche, wurde er wahrscheinlich mit dem Rücken zum Haus erschossen. Wenn sie nicht stark abgelenkt wurde, finden wir sie vielleicht in der Holzverkleidung.«
Kline nickte bedächtig. »Schön, wie ich vorhin schon sagen wollte, nur um ein klares Bild zu bekommen: Der Mörder erschießt das Opfer aus kurzer, aber nicht kürzester Entfernung, das Opfer stürzt mit durchtrennter Schlagader zu Boden, Blut spritzt aus dem Hals. Dann nimmt der Mörder eine zerbrochene Flasche, kauert sich neben den Toten und sticht vierzehnmal auf ihn ein. Ist das die Lage?« Ungläubiges Staunen schwang in seiner Stimme.
»Mindestens vierzehnmal, wahrscheinlich mehr«, korrigierte Thrasher. »Bei Überschneidungen lässt sich das schwer zählen.«
»Ich verstehe, aber worauf ich eigentlich hinauswill, ist: warum?«
»Motive«, entgegnete Thrasher, als wäre der Begriff vergleichbar mit Traumdeutung, »fallen nicht in mein Fachgebiet. Da müssen Sie schon unsere Freunde vom BCI hier fragen.«
Kline wandte sich an Hardwick. »Eine zerbrochene Flasche ist eine Gelegenheitswaffe, nach der man bei einer
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