Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number
irgendwelche anderen interessanten Gäste auf dem Gelände?«
Das ironische Funkeln, das Gurney aus unerfindlichen Gründen so abstoßend fand, trat in Hardwicks Augen. »Wenn Sie arrogante, infantile, drogenbenebelte Spinner meinen, ja, dann hätten wir da einige ›interessante Gäste‹ - und dazu noch die stinkreiche Witwe.«
Während Kline offenbar über die medialen Auswirkungen eines derart sensationellen Verbrechens nachsann, fiel sein Blick auf Gurney, der ihm diagonal gegenübersaß. Zuerst blieb sein Gesichtsausdruck leer, als hätte er einen unbesetzten Stuhl vor sich.
Dann schob er neugierig den Kopf vor. »Moment mal. Dave Gurney, NYPD. Rod hat mir gesagt, wer zu unserer Besprechung kommt, aber bei mir hat’s erst jetzt geklingelt. Sind Sie nicht der Mann, über den vor ein paar Jahren in der Zeitschrift New York ein Artikel erschienen ist?«
Hardwick war schneller. »Genau der! Die Headline war: ›Super-Detective‹.«
»Jetzt fällt’s mir wieder ein«, rief Kline. »Sie haben diese großen Serienmordfälle gelöst - der wahnsinnige Weihnachtstyp mit den Körperteilen und Porky Pig, oder wie er hieß.«
»Peter Possum Pigger«, erwiderte Gurney sanft.
Kline starrte ihn mit offener Ehrfurcht an. »Dieser Mellery, der ermordet wurde, ist also zufällig der beste Freund des Starermittlers vom NYPD?« Offenbar wurden die medialen Auswirkungen immer prachtvoller.
»Ich war an den beiden genannten Fällen beteiligt.« Gurney blieb betont sachlich, um der Aufgeregtheit des Bezirksstaatsanwalts die Spitze zu nehmen. »Wie viele andere Leute auch. Und ich war auch nicht Mellerys bester Freund. Wenn es so wäre, wäre es traurig, weil wir uns fünfundzwanzig Jahre lang nicht gesehen hatten, und selbst damals …«
»Aber«, unterbrach ihn Kline, »als er in Schwierigkeiten steckte, hat er sich an Sie gewandt.«
Gurney registrierte die verschiedenen Abstufungen von Respekt und Neid in den Gesichtern am Tisch und wunderte sich wieder einmal über die Überzeugungskraft einer simplifizierten Darstellungsweise. BLUTIGER MORD AN POLIZISTENFREUND sprach offenkundig unmittelbar jene Gehirnregion an, die Comichefte liebt und Komplexität hasst.
»Ich vermute, er ist zu mir gekommen, weil er sonst keinen Polizisten kannte.«
Kline sah aus, als wollte er die Sache nur vorübergehend zurückstellen, um weitermachen zu können. »Unabhängig von Ihrer genauen Beziehung zu Mellery hatten Sie durch den Kontakt zu ihm einen Einblick in die Sache wie kein anderer.«
»Deswegen wollte ich, dass er heute dabei ist.« Rodriguez hatte seinen Kontrollanspruch noch lange nicht aufgegeben.
Ein kurzes, abgehacktes Lachen drang aus Hardwicks Kehle, gefolgt von einem nur für Gurneys Ohr bestimmten Flüstern: »Er hat sich gegen die Idee gesträubt, bis Kline dafür war.«
Rodriguez fuhr fort. »Mein Zeitplan sieht vor, dass er als Nächstes seine Aussage macht sowie die Fragen beantwortet, die sich daraus ergeben - und das könnten einige
sein. Um Unterbrechungen zu vermeiden, schlage ich eine fünfminütige Pause vor, falls jemand zur Toilette muss.«
»Jetzt bist du angepisst, Gurney.« Das körperlose Wispern ging im allgemeinen Stühlerücken unter.
25
Fragen an Gurney
Gurney hatte die Theorie, dass sich Männer auf Toiletten entweder wie in Umkleidekabinen oder wie in Aufzügen benahmen, also mit ausgelassener Vertrautheit oder gehemmter Unnahbarkeit. Das hier war eine Aufzugrunde. Erst als sich alle wieder im Konferenzraum versammelt hatten, machte jemand den Mund auf.
»Wie kommt ein bescheidener Mann wie Sie zu solchem Ruhm?«, fragte Kline mit routiniertem Charme.
»So bescheiden bin ich gar nicht und auch nicht besonders berühmt«, erwiderte Gurney.
»Wenn Sie wieder an Ihre Plätze zurückkehren«, ließ sich Rodriguez in brüskem Ton vernehmen, »werden Sie dort Kopien der Nachrichten vorfinden, die das Opfer erhalten hat. Während unser Zeuge seine Aussage über seinen Umgang mit dem Opfer macht, können Sie die Nachricht nachschlagen, um die es jeweils geht.« Mit einem kurzen Nicken in Gurneys Richtung schloss er: »Wir wären dann so weit.«
Gurney war nicht mehr überrascht von der Aufgeblasenheit des Captain, aber sie wurmte ihn trotzdem. Er sah in die Runde und stellte Blickkontakt zu allen Anwesenden her, mit Ausnahme seines Führers am Tatort, der geräuschvoll in seinem Papierstapel blätterte, und Stimmels, der ins Leere starrte wie eine kontemplative Kröte.
»Wie Captain Rodriguez
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