Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number
werden können …«
»Moment mal. Angenommen, dieser Guru hat einen seiner Gäste - jemand wie Patty Cakes - dazu gebracht, ihm etwas zu gestehen. Damit er zur inneren Harmonie oder zum spirituellen Frieden oder irgend so einem Quatsch findet, den Mellery verkauft hat.«
»Und?«
»Und später, als er wieder zu Hause ist, denkt sich der Gangster, dass das mit der Offenheit und Aufrichtigkeit vielleicht ein bisschen übertrieben war. Harmonie mit dem All ist zwar eine feine Sache, aber vielleicht doch nicht so wichtig, dass man es riskieren kann, einem anderen brisante Informationen anzuvertrauen. Vielleicht denkt der Gangster wieder praktischer, sobald er nicht mehr im Bann des Gurus ist. Und heuert jemand an, um sich dieses Risiko vom Hals zu schaffen.«
»Interessante Hypothese.«
»Aber?«
»Aber es gibt auf der ganzen Welt keinen Auftragskiller, der sich mit solchen Psychospielen wie bei dieser Tat abgeben würde. Leute, die für Geld töten, hängen nicht ihre Stiefel an Baumäste und legen keine Gedichte auf Leichen.«
Kline sah aus, als wollte er zu einem Gegenargument ausholen, hielt jedoch inne, als nach flüchtigem Klopfen die Tür geöffnet wurde. Die gepflegte Empfangsdame trat
mit einem lackierten Tablett ein, auf dem zwei Porzellantassen auf Untertassen, eine Kanne mit elegant geschwungenem Schnabel, Zuckerdose und Milchkännchen und ein Wedgewood-Teller mit vier Biscotti standen.
»Rodriguez hat angerufen.« Wie um eine telepathisch gestellte Frage zu beantworten, fügte sie hinzu: »Er ist schon unterwegs, will in ein paar Minuten hier sein.«
Kline schaute Gurney an, als wollte er seine Reaktion ergründen. »Rod hat vorhin mit mir telefoniert. Möchte mir unbedingt seine Meinung zu dem Fall darlegen. Ich habe vorgeschlagen, dass er vorbeischaut, solange Sie noch da sind. Mir ist es immer am liebsten, wenn alle alles gleichzeitig erfahren. Je mehr wir alle wissen, desto besser. Keine Geheimnisse.«
»Gute Idee.« Gurney hatte den Verdacht, dass Kline Rodriguez aus einem ganz anderen Grund dazugebeten hatte. Aus einem Grund, der weniger mit Offenheit und mehr mit der Neigung zu tun hatte, seine Leute durch Konflikte und Konfrontationen zu steuern.
Als Klines Sekretärin das Zimmer verließ, bemerkte Gurney ein wissendes Mona-Lisa-Lächeln auf ihrem Gesicht, das seine Theorie bestätigte.
Kline schenkte ihnen beiden Kaffee ein. Das Porzellan wirkte alt und kostbar, er behandelte es aber weder mit Stolz noch mit übertriebener Sorgfalt, was Gurneys Eindruck verstärkte, dass der jugendliche Bezirksstaatsanwalt aus besserem Hause stammte und dass die Tätigkeit in der Strafverfolgung nur ein Schritt war auf dem Weg zu einer Position, die seiner vornehmen Herkunft entsprach. Was hatte ihm Hardwick bei der gestrigen Besprechung ins Ohr geflüstert? Irgendwas von dem Wunsch, Gouverneur zu werden? Vielleicht hatte der alte Zyniker wieder einmal Recht. Oder Gurney interpretierte einfach zu viel.
»Ach übrigens.« Kline lehnte sich zurück. »Die Kugel in der Wand war keine.357. Das war nur eine Vermutung aufgrund der Lochgröße, bevor sie sie rausgepult haben. Die Ballistiker sagen, es ist eine.38 Special.«
»Merkwürdig.«
»Eigentlich sogar ziemlich verbreitet. Bis in die Achtziger Standardwaffe der meisten Polizeiabteilungen.«
»Normales Kaliber, ja, aber eine merkwürdige Wahl.«
»Da kann ich Ihnen nicht ganz folgen.«
»Der Mörder hat sich offenkundig Mühe gegeben, das Schussgeräusch zu dämpfen. Wenn das für ihn wichtig war, war die Wahl einer.38 Special merkwürdig. Kaliber.22 wäre viel naheliegender gewesen.«
»Vielleicht hatte er nur diese Waffe.«
»Vielleicht.«
»Sie zweifeln daran?«
»Der Mann ist ein Perfektionist. Er würde sicher dafür sorgen, dass er genau die richtige Waffe hat.«
Kline starrte Gurney an wie einen Zeugen beim Kreuzverhör. »Sie widersprechen sich. Erst sagen Sie, die Beweise deuten darauf hin, dass er den Schuss so stark wie möglich dämpfen wollte. Dann soll er sich die falsche Waffe ausgesucht haben. Und jetzt erzählen Sie, dass er nicht der Typ dafür ist, sich die falsche Waffe auszusuchen.«
»Den Schuss zu dämpfen war wichtig. Aber vielleicht war was anderes noch wichtiger.«
»Zum Beispiel?«
»Wenn die Sache einen rituellen Aspekt hat, könnte auch die Wahl der Waffe dazugehören. Die Obsession, den Mord auf eine bestimmte Weise auszuführen, hätte dann den Vorrang gegenüber dem Geräuschproblem. Er würde es machen, wie
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