Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number
erzählen mir, wovon Sie reden.«
»Das ist empörend! Ich habe dem Sergeant am Telefon doch alles geschildert. Sogar zweimal, weil er anscheinend nicht verstanden hat, was ich ihm gesagt habe.«
»Ich verstehe Ihren Ärger, aber vielleicht wiederholen Sie es noch einmal für mich.«
»Dass meine rubinroten Schuhe gestohlen worden sind. Können Sie sich überhaupt vorstellen, wie viel die wert sind?«
»Ihre rubinroten Schuhe?«
»Meine Güte, man hat Sie also nicht im Geringsten informiert.« Wellstone holte mehrmals tief Luft, wie um einen drohenden Anfall abzuwenden. Dann schloss er die Augen. Als er sie wieder aufschlug, schien er sich mit der Unfähigkeit der Polizei abgefunden zu haben und redete Gurney in der Diktion eines Grundschullehrers an.
»Meine rubinroten Schuhe, die sehr viel Geld wert sind, wurden aus dem Emerald Cottage entwendet. Ich kann es zwar nicht beweisen, doch ich hege nicht den leisesten Zweifel, dass sie von dem letzten Gast gestohlen wurden, der dort gewohnt hat.«
»Das Emerald Cottage gehört zu diesem Gasthof?«
»Selbstverständlich. Das gesamte Etablissement trägt den Namen The Laurels - Sie haben die Lorbeersträucher ja gesehen. Es gibt drei Gebäude: das Haupthaus, in dem wir uns befinden, dazu das Emerald Cottage und das Honeybee Cottage. Das Dekor von Emerald Cottage beruht auf Der Zauberer von Oz , dem größten Film aller Zeiten.« Ein herausforderndes Funkeln in seinen Augen gab Gurney zu verstehen, dass er es ja nicht wagen sollte, Widerspruch zu erheben. »Das Herzstück des Dekors war eine außergewöhnliche Reproduktion von Dorothys magischen Schuhen. Heute Morgen habe ich entdeckt, dass sie fehlen.«
»Und das haben Sie angezeigt bei …«
»Bei der Polizei natürlich, sonst wären Sie wohl kaum hier.«
»Sie haben bei der Polizei von Peony angerufen?«
»Nun, bei der Polizei von Chicago habe ich sicher nicht angerufen.«
»Mr. Wellstone, es handelt sich hier ganz offensichtlich um zwei verschiedene Dinge. Was den Diebstahl angeht, wird sich die Polizei von Peony bestimmt mit Ihnen in Verbindung setzen. Aber das ist nicht der Grund, warum ich hier bin. Ich ermittle in einem anderen Fall und würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen. Neulich war ein Beamter der State Police hier und hat von einem Mr. Plumstone, wie ich glaube, erfahren, dass vor drei Nächten Vogelbeobachter bei Ihnen zu Gast waren - ein Mann und seine Mutter.«
»Das ist er!«
»Wer?«
»Der, der meine rubinroten Schuhe gestohlen hat!«
»Der Vogelbeobachter hat Ihre Schuhe gestohlen?«
»Der Vogelbeobachter, der Räuber, der diebische kleine Mistkerl, genau der!«
»Und warum wurde das dem Beamten von der State Police nicht mitgeteilt?«
»Es wurde ihm nicht mitgeteilt, weil es noch nicht bekannt war. Ich sage Ihnen doch, dass ich den Diebstahl erst heute Morgen entdeckt habe!«
»Sie waren also nicht in dem Cottage, seit der Mann und seine Mutter abgereist sind?«
»›Abgereist‹ ist wohl etwas zu förmlich ausgedrückt. Sie sind einfach irgendwann im Lauf des Tages verschwunden. Sie hatten ja im Voraus bezahlt, daher mussten sie sich nicht offiziell abmelden. Wir bemühen uns hier um ein gewisses Maß an kultivierter Zwanglosigkeit - umso ärgerlicher ist es natürlich, wenn dieses Vertrauen missbraucht wird.« Die Erinnerung trieb Wellstone die Zornesröte ins Gesicht.
»Ist es normal, so lange zu warten …?«
»Bis das Zimmer hergerichtet wird? Um diese Jahreszeit schon. Im November ist bei uns am wenigsten los. Das Emerald Cottage ist erst wieder für die Weihnachtswoche reserviert.«
»Der BCI-Beamte hat sich das Cottage nicht angeschaut?«
»BCI-Beamte?«
»Der Detective vom Bureau of Criminal Investigation, der vor zwei Tagen hier war.«
»Ach so. Er hat nicht mit mir gesprochen, sondern mit Mr. Plumstone.«
»Wer ist dieser Mr. Plumstone eigentlich?«
»Eine hervorragende Frage. Eine Frage, die ich mir schon lange stelle.« Verbittert schüttelte er den Kopf. »Verzeihung. Ich sollte mich nicht von unwesentlichen
Emotionen hinreißen lassen, wenn es um wichtige Polizeifragen geht. Paul Plumstone ist mein Kompagnon. Der Gasthof The Laurels gehört uns beiden. Zumindest ist es im Moment noch so.«
»Verstehe«, antwortete Gurney. »Aber zurück zu meiner Frage: Hat sich der BCI-Beamte im Cottage umgesehen?«
»Warum sollte er? Ich meine, er war natürlich wegen dieser grausigen Geschichte im Institut oben am Berg hier und wollte wissen, ob wir hier
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