Die Hassliste: Roman (German Edition)
dich freuen. Nick ist jetzt offiziell aus meinem Leben getreten, für immer. Vielleicht kannst du mir jetzt endlich vertrauen.«
Mom schloss den Mund und ließ die Arme sinken. »Tja«, sagte sie nach langer Zeit. »Immerhin ist dir nichts zugestoßen.« Sie drehte sich um, ging die Treppen hoch und ließ mich allein im Eingang stehen. Über mir hörte ich, wie Frankies Zimmertür leise wieder ins Schloss fiel. Klar, dachte ich, mir ist nichts zugestoßen.
Von da an wohnte Frankie unter der Woche bei Dad und kam nur am Wochenende nach Hause. Mom beteuerte, dass es nicht wegen mir wäre. Aber nach der Szene, die er gemacht hatte, fiel es mir schwer, das zu glauben, zumal er gegangen war, ohne sich zu verabschieden. Ich fühlte mich total schuldig ihm gegenüber. Ich hatte Frankie nie wehtun wollen. Ich hatte auch nie gewollt, dass sich sein ganzes Leben nur um mich drehte. Aber anscheinend war das typisch für mich – ich tat Leuten weh, ohne es zu wollen.
Als dann der Frühling richtig ausgebrochen war, trug Frankie seine Haare genauso wie alle andern Fußballspieler und eine Brille vervollständigte seinen glatten, angepassten Look – ein Stil, den ich mir an Frankie früher nie hätte vorstellen können.
Er redete kaum mit mir, abgesehen davon, dass er mir, wenn Mom nicht in der Nähe war, davon erzählte, wie es Dad und Briley ging.
»Dad hat ein neues Auto«, sagte er zum Beispiel oder: »Briley ist total nett, Valerie. Du solltest ihr eine Chancegeben. Sie hört gern Punk, echt wahr. Kannst du dir vorstellen, dass sich Mom Punkmusik anhört?«
Ich tat so, als wäre mir komplett egal, was mit Dad und Briley los war. Aber einmal, als Frankie unter der Dusche war, fischte ich mir sein Handy aus seinem Rucksack und guckte alle Fotos durch, die er gespeichert hatte, bis ich Bilder von ihnen fand. Auf dem Boden kauernd glotzte ich sie an, bis mir die Augen brannten.
Die Scheidung war beinahe über die Bühne. Mir fiel auf, dass Moms Anwalt, Mel, trotzdem abends oft vorbeikam und manchmal auch etwas zum Essen oder eine Flasche Wein mitbrachte. Mom schminkte sich an diesen Tagen und saß verzückt mit ihm am Küchentisch, andauernd lachte sie und berührte ihn dabei leicht mit den Fingerspitzen am Unterarm.
Ich konnte den Gedanken kaum ertragen, aber ab und zu fragte ich mich doch, was für eine Art Stiefvater Mel wohl abgeben würde. Irgendwann hatte ich Mom mal darauf angesprochen, sie war rot geworden und hatte nur gesagt: »Ich bin immer noch mit deinem Vater verheiratet, Valerie.« Aber danach hatte sie ganz verträumt gewirkt, hatte unentwegt an ihrer Halskette herumgefummelt und weich vor sich hin gelächelt wie Cinderella am Morgen nach dem Ball.
Obwohl Duce und ich an Nicks Grab sozusagen eine Art Waffenstillstand geschlossen hatten, änderte das nichts daran, wie wir uns in der Schule begegneten. Wir redeten nicht miteinander. Wir trafen uns morgens nicht an der Tribüne. Und wir saßen in der Mittagspause nicht zusammen. Stattdessen hatte ich Mrs Tate dazu gebracht, dass sie mich in ihrem Büro essen ließ – ich hatte ihr versprochen,mir in dieser Zeit College-Broschüren anzusehen.
Jetzt, gegen Ende des Schuljahres, zog sich der Unterricht unerträglich in die Länge und war total öde. Allein schon zu hören, wie draußen vor den Fenstern die Vögel zwitscherten, bewirkte, dass sich die Stunden des Tages scheinbar vervielfachten und aufeinandertürmten. Alle Arbeit für die Schule wirkte unsinnig, so kurz vor dem Abschluss. Als müsste die verbleibende Zeit eben irgendwie gefüllt werden. Hatten wir nicht sowieso schon alles gelernt, was wir brauchten? Konnten wir nicht einfach zum Spielen nach draußen gehen, wie wir es als Kinder getan hatten? Brauchten nicht auch die Schüler der Abschlussklasse einfach mal freie Zeit?
Der zweite Mai kam und ging ohne allzu viel Aufregung. Morgens gab es eine Schweigeminute, danach wurden die Namen der Opfer über Lautsprecher verlesen, zusammen mit den anderen Ankündigungen für den Tag. Am Abend gab es Gebetswachen in ein paar Kirchen hier in der Gegend. Aber im Großen und Ganzen lebten die Leute einfach ihr Leben weiter. Schon jetzt. Nach nur einem Jahr.
Alle redeten über den Schulabschluss. Über die Partys, die danach steigen sollten. Über die schrecklichen Familienfeiern, die es geben würde. Darüber, was man vorhatte anzuziehen, wie man es fertigbrachte, dass einem während der Feier der Wind nicht den traditionellen Hut vom Kopf wehte,
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