Die Hebamme von Venedig
gefasst und sagte mit einem leichten Stammeln: »… und ein Segen für seine Eltern sein.«
Der Conte schien trotz aller Freude und Erleichterung besorgt. Das war nicht ungewöhnlich, und er hatte mehr Grund als die meisten anderen Väter, um die Gesundheit seines Sohnes zu fürchten. Sie empfand Mitleid mit ihm.
Noch immer wollte der Conte seinen Sohn nicht auf den Arm nehmen. Stattdessen senkte er den Kopf und wandte sich ab. Hannah hörte das Stocken in seiner Stimme, als er sprach.
»Er ist zerbrechlich wie Porzellan. Wickle sie ihn gut.«
Hannah gab Giovanna das Baby zurück, die es in lange, schmale Stoffstreifen wickelte.
Der Conte zog ein Taschentuch hervor und putzte sich die Nase. »Sie wird denken, ich bin gefühllos, weil ich mein Kind nicht halten will, aber ich bin zu alt für eine weitere Enttäuschung. Er ist nicht unser erstes Kind, das die Geburt überlebt hat. Ein Mädchen lebte zwei Wochen, ein Junge ein paar Tage. Ich habe sie beide geliebt, ich konnte nicht anders, und vielleicht hat meine Liebe den Tod in ihre Wiegen gelockt. Ich will meine Gefühle für ihn noch nicht zeigen, um Gott nicht eifersüchtig zu machen. Wenn er älter ist und ich sicher bin, dass er überleben wird, ist es etwas anderes.« Er sah Hannah an. »Wird er überleben? Er ist klein wie ein Welpe. Gibt es Grund zur Hoffnung?«
»Ich glaube, ebenso sehr wie es Milch, Amulette und Gebete tun, hält die Liebe Babys am Leben«, sagte Hannah. »Es ist nicht natürlich, einem Kind seine Liebe zu verweigern. Wenn der Tod ein Kind von einem starken, liebenden Vater beschützt sieht, wird er zurückschrecken, und sollte das Baby, was Gott verhüten möge, dennoch sterben, hat es wenigstens Eure Liebe erfahren.« Hannah wollte den Conte in den Arm nehmen und trösten, aber selbst wenn er ein Jude aus dem Ghetto gewesen wäre, wäre das unschicklich gewesen, und so sagte sie: »Er ist rosig, aber auch zu heiß. Vielleicht ist es ein Fieber, vielleicht die Anstrengung der Geburt. Wenn er überlebt, wird er ein Mann von großem Durchhaltevermögen sein. Der Charakter eines Kindes wird durch seinen Weg in diese Welt geformt.«
Giovanna hatte den Jungen gewickelt, setzte sich und stillte ihn noch einmal. Da kam Jacopo herein, so plötzlich und unversehens, dass Hannah vor Schreck zusammenfuhr. Als er sich vorbeugte, um das Baby zu betrachten, verlor es Giovannas Brustwarze und fing an zu schreien.
Jacopo richtete sich auf und sagte: »Was für ein faltiges, hutzeliges kleines Wunder.« Er setzte sich neben den Conte seitlich an Lucias Bett. »Meinen Glückwunsch, Bruder. Da hast du einen feinen Sohn.«
Hannah wünschte, er würde wieder gehen. Seine Anwesenheit bereitete ihr Unbehagen. Es war nicht recht für einen Mann, der nicht der Vater des Kindes war, so einfach in das Geburtszimmer einzudringen. Giovanna musste das Gleiche empfinden wie sie, denn sie funkelte ihn an, wandte sich ab und entzog das Baby so seinem Blick.
»Jacopo«, sagte der Conte. »Lucia ist erschöpft. Vielleicht kannst du morgen noch einmal kommen, wenn sie sich wieder etwas gesammelt hat.«
Aber Jacopo wich nicht von seinem Stuhl.
Ohne seinen Bruder weiter zu beachten, beugte sich der Conte jetzt ein Stück vor, um mit Hannah zu sprechen. Das Gesicht des ehrwürdigen Edelmannes war verschwunden, Hannah sah einen Mann in schmerzvoller Bedrängnis.
»Sage sie mir, Hannah, wie soll ich mein Kind schützen? Wenn ich etwas tun kann, um die Sicherheit des Babys zu gewährleisten, muss ich es wissen.« Noch einmal wandte er sich Jacopo zu und bedeutete ihm zu gehen, aber der rührte sich nicht.
»Auch ich will die Antwort dieser Jüdin hören«, sagte Jacopo.
Hannah holte tief Luft. »Ich habe ein Silberamulett in meiner Tasche«, sagte sie, »eines, von dem es heißt, dass es Lilith, die Mörderin der Neugeborenen, fernhält.« Sie griff in ihre Tasche und holte ihren Schaddai in Form einer Babyhand heraus. »Es hat in Fällen wie diesem bisher sehr geholfen.«
»Kann ich sie überreden, es mir zu geben?«, fragte der Conte.
»Wenn ich Euch erzähle, wie ich es bekommen habe, werdet Ihr verstehen, dass mir das unmöglich ist.« Es war eine Geschichte, die alle im Ghetto kannten.
»Vor vielen Jahren, an einem bitterkalten Winterabend«, begann sie, »fand eine Bäckersfrau ein Baby in einem Weidenkorb unter dem Portego bei der Banco Rosso. Das Baby war vor Kälte ganz blau und schrie vor Hunger. Da es ein Abend mitten in der Woche war, wenn das Ghetto
Weitere Kostenlose Bücher