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Die Hebamme von Venedig

Die Hebamme von Venedig

Titel: Die Hebamme von Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberta Rich
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stehen, drückte sich gegen die Tür der Bäckerei am Gasseneingang und hatte Angst, ihm zu folgen. Es gab in der engen Passage keine Möglichkeit, sich zu verbergen, keine zurückversetzten Eingänge, keine Lücken zwischen den Gebäuden. Niccolò musste sich nur umsehen, um sie zu entdecken.
    Es gab ein einziges Geschäft in der Gasse, das Schächthaus ganz am Ende, direkt am Wasser, wohin Eingeweide, Knorpel und Fett entsorgt wurden. Der Schächter Israel Foà musste vor Stunden schon das letzte Hähnchen für den Sabbat geschlachtet haben, hatte bei Sonnenuntergang sein Geschäft geschlossen und war nach Hause gegangen, um mit Frau und Kindern zu Abend zu essen.
    Niccolò blieb vor der Schächterei stehen und legte Matteo auf den Boden. Er trat einen Schritt zurück und rammte mit der Schulter gegen die Tür, die nach ein paar harten Stößen nachgab. Niccolò taumelte ins Innere, kam wieder hervor, nahm das Baby und verschwand mit ihm nach drinnen. Hannah schlich die Gasse hinunter, deren Pflaster mit Schmutz und Resten aus der Schächterei überzogen war. Der Fensterladen vor dem einzigen Fenster des Geschäfts war geschlossen, aber durch die Ritzen konnte sie sehen, wie drinnen eine Kerze entzündet wurde.
    Matteo lag bewegungslos auf dem verschrammten Tisch mitten im Raum. Hannah sah, wie Niccolò ihn von seinen Wickeltüchern befreite und die molligen Beinchen und Füßchen zum Vorschein kamen. Matteo strampelte nicht, seine Beine reckten sich nicht in die Luft und seine sternenbleichen Hände versuchten nicht, nach dem Licht der Kerze zu greifen. Auf dem Tisch neben ihm lag das wabenartige Gekröse eines Kuhmagens, schwammig und weiß. Niccolò griff nach dem Schächtermesser, das hinter ihm an der Wand hing.
    Mit einem Mal sah Hannah nichts mehr außer der Waffe in Niccolòs Hand. Alle Gefahr und alle Ängste ignorierend, drückte sie die Tür auf und wollte sich schützend über Matteo werfen. »Um Himmels willen, aufhören!«, schrie sie. »Was macht Ihr da?« Der Schwindel erregende Gestank ranziger Innereien und des Gedärms auf dem Boden ließ sie taumeln und beinahe in die Knie gehen.
    Niccolòs Augen weiteten sich. Er erstarrte, das Messer in die Luft erhoben. »Sie erlaubt sich, mir zu folgen?«, sagte er endlich. Seine Stimme klang ruhig, aber die Muskeln um Mund und Kinn waren aufs Äußerste angespannt. »Aber vielleicht ist es ja gut so. Wenn ich den Jungen und sie umbringe, sieht es womöglich so aus, als hätte sie erst ihn und dann sich selbst getötet.«
    »Warum rührt er sich nicht? Was habt Ihr mit ihm gemacht?« Galle sammelte sich in Hannahs Kehle. Sie zwang sich, zu schlucken und das Klingeln in ihren Ohren zu überhören. Sie würde Matteo nicht helfen können, wenn sie ohnmächtig wurde. Sie wollte ihn packen und mit ihm aus diesem schrecklichen Raum fliehen. Matteos Brust hob und senkte sich stoßweise, ohne viel Kraft. Ein Bein zuckte, dann ein Arm. Wenigstens lebte er.
    »Bleibe sie von ihm fern!«, befahl Niccolò.
    »Aber Ihr wollt ihn doch sicher nicht töten! Was hat Euch der kleine Kerl denn angetan?«
    »Mehr, als sie sich vorstellen kann«, sagte Niccolò, das Messer noch immer in der Hand. Er ging zur Tür, schloss sie und schob einen wackligen Stuhl unter die Klinke, um ihr den Fluchtweg zu versperren.
    Hannah spürte die Hitze, die sein Körper ausstrahlte. »Warum habt Ihr ihn hergebracht, ins Ghetto?« Aber schon dämmerte es ihr. »Ihr wollt, dass der Mord an Matteo den Juden zur Last gelegt wird.«
    »Es würde mir nichts ausmachen, wenn die Geldverleiher endlich bekämen, was sie verdienen. Seit Jahrzehnten betrügen sie die Christen.«
    Hannah zwang sich, langsamer zu atmen. Wenn sie ruhig blieb, konnte sie mit diesem Mann vielleicht verhandeln. Das war ihre einzige Hoffnung. Überwältigen konnte sie ihn nicht. Er war einen Kopf größer als sie und weit stärker.
    »Niemand wird glauben, dass die Juden zu so etwas Bösem fähig sind.«
    Er lachte. »Ist sie so naiv? Natürlich werden die Leute es glauben. Besonders, wenn sie seinen geschundenen Körper ans Tor des Ghettos genagelt finden.«
    Seit Hunderten von Jahren wurde den Juden vorgeworfen, dass sie Christenbabys töteten und ihr Blut für rituelle Verrichtungen benutzten. Den Prosecuti, den Anklägern, würde es reichen, dass Matteos Leiche im Ghetto gefunden wurde. Ein weiterer Beweis würde nicht nötig sein, um die Juden verantwortlich zu machen. Hannahs Gedanken rasten. Niccolò musste Matteo etwas

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