Die Hebamme von Venedig
zittern: Der Conte und die Contessa waren unterwegs nach Ferrara. Im Palazzo war nur noch Jacopo, und sie hatte Matteo nicht gerettet, um ihn dem auszuliefern, der zu Ende bringen würde, was Niccolò begonnen hatte.
Mit Matteo auf dem Arm eilte sie zurück in die Schächterei, fand einen Eimer Wasser und ein sauberes Tuch, mit dem sie Gesicht und Hände des Babys reinigte. Dann wusch sie sich selbst, wobei ihre Beine so sehr zu zittern begannen, dass sie in die Hocke gehen musste. Sie versuchte sich das Haar zu glätten und festzustecken, doch die Haarnadeln fielen ihr aus den Händen.
Sie starrte auf den Eimer mit dem rosa Wasser vor sich und überlegte, was sie nun tun sollte. Wer konnte ihr Unterschlupf bieten? Im Ghetto konnte sie mit diesem Kind nicht bleiben, mit seinen leinenen Wickeltüchern und der blutbespritzten, mit dem Wappen der di Padovanis bestickten Seidendecke. Wenn die Prosecuti Matteo in ihrem Loghetto entdeckten, würde der Campo mit jüdischem Blut überflutet werden, und sie, Hannah, träfe daran so viel Schuld, als hätte sie die Klinge persönlich geführt.
Sie musste sich verstecken, bis der Conte und die Contessa zurückkamen. Aber wo? Der einzige Mensch, den Hannah außerhalb des Ghettos kannte, würde ihr niemals Zuflucht gewähren. Oder doch?
Kapitel 14
H annah stand vor Jessicas Haus mit Blick über den Rio della Sensa und flehte Matteo vergeblich an, sein hungriges Jammern zu lassen. Sie drückte ihn an sich, wiegte ihn und gurrte verzweifelt, was die Neugier eines Wasserträgers erweckte, der unter der Last seines mit Eimern behängten Tragebalkens stöhnte. Wenigstens hatte sie alles Blut von Matteos Gesicht gewischt und auf dem Weg durch die Parrocchia di Sant’Alvise ein schlecht sitzendes Kleid und eine Haube von einer Wäscheleine stehlen können, die sauberen Sachen in einem Hauseingang angezogen und ihre blutige Cioppà in die Tasche zu ihren Geburtslöffeln gesteckt.
Sie zog die Türglocke. Das Läuten schallte durchs Haus und über die Fondamenta della Sensa. Ihre gestohlenen Kleider ließen sie christlich aussehen, so christlich, wie es mit ihrem markanten Profil und den dunklen Augen eben möglich war. Sie war immer noch barfuß, und ihre Füße kamen ihr vor wie aus Eis. Es war ihre Angst, das Zittern ihrer Arme und Knie, nicht ihre alberne Kleidung, die sie so auffällig werden ließ, als säße sie im Männerbereich der Synagoge.
Matteo schrie immer weiter. Sie griff in den Ausschnitt ihres Kleides, nahm das silberne Amulett hervor und führte es sich an die Lippen. Der Schaddai war warm wie ihr Körper, und sie fand Trost darin. Aber wie sollte er ihr jetzt helfen, fragte sie sich.
Das Haus war so hübsch, wie Jessica gesagt hatte, mit eleganten Bögen aus istrischem Marmor und einer fein behauenen Fassade, die dem Stein ein Spitzenmuster verlieh. Im zweiten Stock zeigte ein Flachrelief Mariä Verkündigung. Gott sei Dank, dachte sie, gab es im Erdgeschoss keinen Altar mit Votivkerzen und dem Bildnis eines gegeißelten Herrn. Es hing nur ein Schinken im Fenster, den alle sehen konnten, mit einer Tasse darunter, um das herabtropfende Fett aufzufangen. Hannah trat ein paar Schritte zurück und sah am Haus hoch. Oben gab es eine Dachterrasse mit einer Glyzinie, die über das Geländer hing. Hannah nahm den müden Matteo vom rechten auf den linken Arm und läutete ein weiteres Mal.
Endlich öffnete ein Hausmädchen die Tür.
»Richte sie ihrer Herrin aus, dass Anni da ist«, sagte Hannah. Das war der Spitzname, den Jessica ihr gegeben hatte, als sie als Kind kein »H« aussprechen konnte. Das junge Hausmädchen, dem die barfüßige, späte Besucherin in ihrem schlecht sitzenden Kleid zweifellos verdächtig vorkam, schloss die Tür und ließ Hannah davor warten, während sie mit ihrer Herrin sprach.
Hannah spürte die Augen Dutzender obdachloser Männer und auch Frauen auf sich, die verzweifelt nach einem Türeingang suchten, in dem sie schlafen konnten. Sie starrten sie an, die zerzauste Frau, die dort vor der Tür stand und ein schreiendes Baby umklammerte. Bitte, beeil dich! , betete Hannah stumm. Sie sah an sich hinab und bemerkte einen Schnitt an ihrem Handgelenk, der noch immer blutete. In ihrer Hast hatte sie vergessen, ihn sich mit einem Stück Stoff zu verbinden. Sie leckte das But weg. Ein Fleck von der Größe und Form eines kleinen Vogels verschmutzte Matteos Decke. Sie faltete den Stoff so, dass er nicht zu sehen war. Wenn Jessica sie nicht
Weitere Kostenlose Bücher