Die Hebamme von Venedig
du kannst darauf wetten, dass er nicht aufgeben wird, bis ihr beide, du und dieses Kind, tot seid.«
Hannah erzählte ihr, wie Jacopo ihre zweihundert Dukaten für die Geburtslöffel hatte erpressen wollen und wie es ihr gelungen war, mit beidem zu entkommen.
»Dieser Mistkerl, deine Verzweiflung so auszunutzen. Diese Adelssprosse sind alle gleich. Eitel und rücksichtslos. Keine Frage, dass er bei allen, vom Schuster bis zum Kammerdiener, Schulden hat.«
»Es tut mir so leid, dass ich dich da mit hineinziehe.«
Jessica nahm Matteo, legte ihn sich an die Schulter und wiegte ihn tröstend hin und her. »Zu wem sonst hättest du gehen können? Wir haben uns beide nicht immer so verhalten, wie es richtig gewesen wäre, und uns gegenseitig tiefe Wunden zugefügt. Manchmal habe ich den wilden Bullen gespielt, dann wieder du. Aber eines ist sicher: Gelitten haben wir beide.«
»Was soll ich nur tun?«, sagte Hannah.
»Bring das Baby zurück«, antwortete Jessica. »Jetzt, bevor es zu spät ist. Schmuggle ihn in den Palazzo.«
»Aber das geht nicht. Der Conte und die Contessa sind in Ferrara.«
»Übergebe ihn seiner Amme und erkläre ihr, was seine Onkel getan haben.«
»Giovanna? Sie hat bereits gedroht, mich bei der Inquisition zu denunzieren.« Hannah verstummte. »Ich muss warten, bis der Conte wieder da ist, um es ihm zu erklären.«
»Was willst du ihm erklären? Dass seine Brüder seinen Sohn und Erben umbringen wollen? Warum sollte er dir glauben?« Jessica legte den Kleinen zurück auf ihr Bett und öffnete die Bänder ihrer Chemise. »Ich habe nicht viel Zeit, ich treffe einen Gönner. Wenn ich nicht erscheine, denkt er, es stimmt etwas nicht.«
»Bitte, Jessica, bleibe.«
»Ich kann nicht. Sonst kommt er her.« Sie wandte sich wieder ihrem Frisiertisch zu. »Während ich mich anziehe, überlegen wir, was zu tun ist.« Mit einer gläsernen Pipette gab sie einen Tropfen Duftöl in eine Paste und vermischte alles mit einem winzigen silbernen Messer. »Mach dich nützlich. Hier …« Sie gab Hannah einen Pinsel aus Kaninchenhaar.
Hannah tauchte den Pinsel in die Paste, strich sie Jessica über Gesicht, Hals, Schultern und Dekolleté und gab auch etwas in die Grübchen des Schlüsselbeins und das Tal zwischen den Brüsten. Und während sie sich so um ihre Schwester kümmerte, verrauchte ihr Zorn, und bei Jessica musste es ähnlich sein, denn Hannah spürte, wie die Anspannung aus dem Körper und dem Gesicht der Schwester wich, sich deren Mund entspannte und die Lider schwer zu werden schienen. Wie typisch es doch für Jessica war, sich unter den Händen ihrer Schwester zu entspannen. Als Kind hatte sie fast nur dann stillsitzen wollen, wenn Hannah ihr mit langen, gleichmäßigen Strichen das Haar bürstete.
Als sie die Haut ihrer Schwester zum Schimmern gebracht hatte, nahm Jessica ihr den Tiegel wieder ab und gab den Rest der Paste in ein kleines Alabastergläschen. »Ich darf nichts davon verschwenden. Ich habe eine echte Perle zerstoßen und in die Mischung gegeben.« Dann öffnete sie ihr Mieder und ließ ihr Kleid an sich herab zu Boden gleiten, wo es einen Kreis um ihre schlanken Beine bildete. »Hilf mir, mich anzuziehen.« Sie verzog das Gesicht. »Hol mir mein Korsett.«
Hannah griff nach dem Mieder, das vom Paravent gefallen war, und reichte es Jessica, die es so hielt, dass Hannah es hinten schnüren konnte.
»Fester, um Himmels willen. Soll ich meinem Gönner mit einer Taille entgegenwatscheln, die dick ist wie die einer Melkerin?«
»Dein Gesicht ist schon ganz rot. Ich traue mich nicht, noch fester zu ziehen.«
»Meine Zofe kennt da keine Gnade.«
Hannah fasste noch einmal nach und spürte, wie ihr eigenes Gesicht purpurn anlief. »Wie ist es jetzt? Kannst du noch atmen oder bist du schon tot?«
Jessica atmete versuchsweise. »Noch nicht tot, aber so reicht es.« Sie zog sich das Korsett etwas herunter und ließ die Rundungen ihrer Brüste hervortreten, so dass fast schon die Warzen sichtbar wurden. »Jetzt bring mir das Kleid …«, sie machte eine Geste zur Ecke des Raumes hinüber, »und halte es so über meinen Kopf.« Es dauerte nicht lange, und sie war ganz angezogen. Nachdenklich sah sie Hannah an. »Fahre nach Ferrara«, sagte sie, »und nimm den Jungen mit. Das ist die einzige Möglichkeit. Du kannst dir ein paar Kleider von mir borgen. Fahre gleich morgen.«
»Ich kann nicht. Mein Schiff nach Malta verlässt bald schon den Hafen.«
»Und wenn der Conte nicht rechtzeitig
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