Die Hebamme von Venedig
zusammengehalten wurde, blätterte es durch und sagte: »Ah, da ist es. Hat er von der Provveditore gehört? Ich habe hier die Quittung für eine Überfahrt auf ihr. In etwa einer Woche kommt sie aus Konstantinopel und nimmt Wasser und eine Ladung Rindsleder auf, und auch ihn, wenn er die Scheidungspapiere unterzeichnet.« Die Papiere flatterten im Wind. »Das Lösegeld für ihn habe ich ebenfalls bereits. Wenn er seine Unterschrift unter den Get setzt.«
Isaak sah Hector an und fragte dann: »Nur aus Neugier, wer sind meine Wohltäter?« Sein älterer Bruder Leon hatte in eine wohlhabende Familie eingeheiratet. Vielleicht hatten sie sich für ihn eingesetzt.
»Ich darf nur sagen, dass es von privaten Geldgebern aufgebracht wurde. Wenn er unterschreibt, kann er das Schiff besteigen.«
»Niemals.«
Hector schüttelte den Kopf. »Was kann er hier auf Malta schon ausrichten? Wenn er seiner Frau helfen will, wäre es besser, nach Hause zu kommen. Seine Sturheit hilft niemandem, am wenigsten ihm selbst.«
»Ich liebe sie.« Isaak versagte die Stimme. »Soll das Leid meiner Frau der Preis für meine Heimkehr sein?«
»Nun ja, es wäre tatsächlich eine elende Welt, wenn das Unglück einer Frau der Preis für das Wohl ihres Mannes wäre.« Hector klopfte sich den Staub von der Hose und ging zu seiner Mähre, die einige Schritte entfernt an ein paar Grasbüscheln rupfte. Ungeduldig fuhr er mit der Hand durch die Luft. »Aber so ist es nicht! Für einen Mann wie Joseph Sklavendienste zu verrichten hilft weder ihm noch seiner Frau. Hat ihm der Hunger den Verstand vernebelt?« Noch einmal wühlte er in seiner Satteltasche. »Ich habe sogar ein sicheres Laissez-passer für ihn, das ihn auf der Heimreise vor einer weiteren Gefangennahme schützt, persönlich vom Großmeister unterzeichnet und besiegelt.« Hector sah Isaak an. »Das ist seine letzte Möglichkeit. Wird er unterschreiben?«
»Erst, wenn ich keine Zähne mehr im Mund habe und mir die Haare bis zur Hüfte reichen«, antwortete Isaak.
»Dann, mein Freund, sollte er Frieden schließen mit seinem hartherzigen Gott. Dann wird diese Insel sein Grab sein.«
Hector bat ihn mit einer Geste, ihm beim Aufsitzen zu helfen, und Isaak legte die Hände zusammen und hievte ihn auf seine Mähre. Hector klammerte sich mit den Beinen an ihren Rumpf.
»Wenn er seine Meinung ändert, lasse er es mich wissen«, sagte er, ritt davon und verschwand in einer Staubwolke.
Die feinen Körnchen legten sich auf Isaaks Bart und brachten ihn erneut zum Husten. Er brauchte diesen Mann nicht, dachte er. Die Gesellschaft, der ganze Haufen, vom Rabbi bis zu diesem aschkenasischen Dreckskerl, alle sollten sie mit Eselspisse gurgeln.
Er war auf niemandes Hilfe angewiesen, um von dieser Insel zu fliehen.
Kapitel 18
J acopowar nicht gekommen. Seit einer geschlagenen Woche schon harrte Hannah nun bangend mit Matteo bei Jessica aus, ihr Herz wild pochend, sobald sich ein Geräusch dem Haus näherte.
Morgen um Morgen hatte Jessica ihrer Schwester geholfen, sie und das Baby mit den diversen Pasten zu beschmieren und ihre Tarnung möglichst echt aussehen zu lassen. Doch bislang war alles Warten vergeblich.
Venedig schien an diesem Morgen unwirklich ruhig. Wer Verwandte außerhalb der Stadt hatte, suchte sein Heil in der Flucht, während die Pestkähne immer mehr Leichen davonschafften. Hannah lag jetzt seit einer gefühlten Ewigkeit im Bett, der Gips riss ihr die Haut auf, und einiges von dem, was sie sich auf den Körper aufgetragen hatte, schmolz dahin und rann Arme und Beine hinunter, so heiß war ihr.
Der arme Matteo. Von Zeit zu Zeit zog er die Beinchen an und schrie erbarmungswürdig, ob wegen der ungewohnten Ziegenmilch, seiner Bemalung oder der stinkenden Tinkturen und Salben, ließ sich unmöglich sagen.
Jessica kam mit einem Tablett Obst herein. »Livorna ist beim ersten Licht aufs Land gefahren«, sagte sie. »Jetzt sind wir allein.«
»Ich habe genauso viel Angst davor, dass Jacopo kommt, wie davor, dass er nicht kommt«, sagte Hannah und drückte Matteo, so gut es ging, an sich. »Niccolòs Leiche wird mittlerweile angeschwemmt worden sein, und ein Blick genügt, um zu sehen, dass er nicht an der Pest gestorben ist.«
Bevor Jessica etwas darauf antworten konnte, läutete es schrill und nachdrücklich an der Tür. Das Geräusch zerriss die Stille.
Jessica hastete zum Fenster. »Ich kann nur die Köpfe von oben sehen, aber auf der Fondamenta sind Soldaten mit hellblauen Kappen
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