Die Hebamme von Venedig
Kleides und zog es dabei einen Fingerbreit weiter herunter. »Hannah ist hier bei mir, seit sie sich angesteckt hat. Sie hat niemanden sonst. Ihr Mann ist auf Malta.«
»Sie weiß, dass es für eine Jüdin gegen das Gesetz ist, außerhalb des Ghettos zu wohnen«, sagte der Richter.
Jessica deckte Matteo wieder zu. »Ihr habt recht, Euer Gnaden. Sie hätte sich eine offizielle Erlaubnis ausstellen lassen müssen, aber wie Ihr seht, sind wir in einer verzweifelten Situation. Sie wird sicher bald schon sterben. Genau wie das Kind.« Jessica drückte Hannahs Hand, und ein Gemisch aus Creme und Ziegenexkrement blieb an ihrer Hand kleben, das sie schnell an der seidenen Decke abwischte. »Ich bitte Euch, Euer Gnaden, lasst sie in Frieden gehen.«
»Lügnerinnen, die beiden sind nichts als Lügnerinnen!«, rief Jacopo.
»Wenn diese Jüdin tatsächlich die Mutter dieses Babys ist, wird sich das ziemlich einfach feststellen lassen.« Der Richter fingerte am Medaillon um seinen Hals. »Nehmt ihm die Wickeltücher ab. Wenn er beschnitten ist, will ich glauben, dass es ihr Kind ist. Damit wäre die Sache geklärt.«
Jessica beugte sich über den Jungen und begann ihn von seinen Wickeltüchern zu befreien, die in gelbschwarz gefleckten Streifen von ihm fielen.
Hannah wollte sich über Matteos Körper werfen. Gleich würden sie seinen unbeschnittenen Penis sehen. Was, wenn sie mit dem Messer auf sie losginge? Aber sie waren zu zweit und würden ihr schneller das Messer entwenden und sie töten, als ein Rudel Wölfe brauchte, um ein Reh zu stellen. Als Jessica sich vorbeugte, um Matteo anzuheben, nahm sich Hannah unbemerkt das Amulett vom Hals und legte es dem Baby um. Schimmernd ruhte es auf seiner sanft sich hebenden und senkenden Brust. Der Richter sah es, kurz bevor Jessica auch das letzte Tuch entfernte.
»Was ist das?«, fragte er.
»Die Juden nennen das einen Schaddai«, sagte Jessica. »Es ist ein Amulett, das über die Wiege des Neugeborenen gehängt wird und ihn beschützt.« Sie nahm das Amulett und hielt es dem Richter hin. »Unter Juden ist das eine verbreitete Sitte.«
Der Richter beugte sich vor, um die hebräischen Buchstaben auf dem Schaddai zu studieren, aber der fürchterliche Fäkaliengestank ließ ihn zurückweichen und von einer näheren Inspektion Abstand nehmen.
»Niemand würde solch eine Abscheulichkeit um den Hals eines Christenkindes hängen«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Ich sehe keine Notwendigkeit dafür, noch weiter fortzuschreiten. Ihn ganz von seinen Tüchern zu befreien wird nur die Dämpfe der Pestilenz freisetzen.«
»Unsinn«, sagte Jacopo. »Sie ist die Hebamme, nicht die Mutter. Mein Bruder und ich haben sie aus dem Ghetto geholt, um das Kind zu entbinden. Das Amulett ist ein jüdischer Zauber und der Beweis, dass sie mit den dunklen Mächten im Bunde ist. Sie hat das Baby ebenso wenig selbst auf die Welt gebracht wie ich!«
Hannah sah durch ihre halb geöffneten Lider, wie Jacopo bleich wurde, erschreckt über das, was er da gerade gesagt hatte, und die nächsten Worte des Richters ließen keinen Zweifel an dem Fehler, den Jacopo gemacht hatte.
»Ihr habt sie aus dem Ghetto geholt, um Eurer Schwägerin bei der Niederkunft zu helfen? Ihr wisst, dass das gegen das Gesetz ist«, sagte der Richter und fuhr mit einer seltsam näselnden Stimme fort: »Wenn Ihr Gerechtigkeit von mir wollt, müsst Ihr mit reinen Händen kommen. Vielleicht sollte ich Euch und den Conte anklagen, das Gesetz gebrochen zu haben, das es Juden untersagt, Christen medizinische Hilfe zu leisten.«
Der Richter wandte sich an Jessica. »Sie ist die Tante des Kindes. Das heißt, dass auch sie Jüdin sein muss, und doch erwecken der Schinken unten im Fenster und der Rosenkranz, den sie sich so inniglich an den Busen drückt, den Eindruck, dass es nicht so ist.«
»Gott der Herr hat mich vor Jahren der römischen Kirche zugeführt. Ich bin eine neue Christin«, sagte Jessica.
Jacopo trat näher ans Bett. »Euer Gnaden«, sagte er, »die Juden bringen die Pest über uns, indem sie unsere Brunnen vergiften, und dann, wenn die Stadt in Aufruhr ist, stehlen sie auch noch die Christenbabys aus ihren Wiegen!« Er deutete auf Jessica. »Sie ist genauso eine Jüdin wie ihre Schwester. Lasst Euch nicht von ihren billigen Requisiten täuschen.«
»Ich habe Recht zu sprechen, nicht Ihr.« Der Richter wandte sich an Jessica. »Nun, was sagt sie zu den Vorwürfen, Niccolò di Padovani umgebracht zu haben? Hatte sie
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