Die Hebamme von Venedig
näherten sich Schritte, die Tür schwang auf, und Giovanna stand vor ihr, die sie perplex anstarrte.
»Giovanna, ich bin es, Hannah. Gott sei Dank ist jemand hier.«
Giovanna brauchte etwas, bis sie Hannah tatsächlich erkannte.
»Ich muss sofort den Conte sprechen.«
Giovanna schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Nicht mehr in diesem Leben. Der Conte ist tot, und seine Frau mit ihm.« Sie bekreuzigte sich und deutete auf das Gebinde an der Tür. »Die Pest. Gestern Abend haben wir es aus Ferrara erfahren.«
Hannah hatte immer gedacht, dass nur die Armen litten und die Reichen und Wohlgeborenen vor Kummer und Trauer geschützt waren. Aber da hatte sie sich getäuscht. Die arme Lucia hatte nicht mehr lange genug gelebt, um ihren Sohn noch ein letztes Mal in die Arme schließen zu können.
»Es tut mir leid, das zu hören. Ich bringe Matteo zurück. Er war …« Sie wollte schon eine holprige Erklärung dafür abgeben, wie das Kind bei ihr gelandet sei, hielt dann aber inne.
»Seit sie in dieses Haus gekommen ist, hat sich Unglück über die Familie gesenkt«, sagte Giovanna. »Der Bruder des Conte, Jacopo, ist verschwunden, und vor wenigen Tagen hat ein Fischer Niccolòs Leiche aus der Lagune gefischt. Er ist erstochen worden.« Giovanna wischte sich die Hände an der Schürze ab.
»Aber das Kind lebt. Was soll mit ihm geschehen?« Hannah strich Matteo über das rote Haar und hielt ihn in die Höhe.
Giovanna sog die Luft ein und beugte sich über ihn. Als sie die Beulen sah, schrie sie und fuhr zurück.
»Ist sie wahnsinnig? Schaffe sie ihn weg! Er hat die Pest! Was soll aus meinen Kindern werden, wenn ich mich anstecke? Weg, weg von hier!«
»Bitte, so höre sie doch. Es ist nicht so, wie sie denkt.« Hannah schnappte nach Luft und versuchte, ihren Atem zu beruhigen, der unter ihrer abgebundenen Brust flach und schnell ging. »Das Kind ist gesund.«
Giovanna zog sich ins Haus zurück, die Hand an der Tür. »Weg, oder ich hole die Prosecuti!«, rief sie.
Damit schlug sie Hannah die Tür vor der Nase zu, und einen Moment später war das Kratzen des eisernen Riegels zu hören, der innen vorgeschoben wurde.
Während Hannah noch dastand und nicht wusste, was sie tun sollte, fing Matteo an zu weinen. Sie wiegte ihn in ihren Armen, immer noch vor der verschlossenen Tür.
Hatte sie das alles auf sich genommen, um das Baby jetzt als Waise zurücklassen zu müssen? Die Contessa hatte erwähnt, dass außer den Brüdern des Conte niemand aus der Familie mehr lebte. Da war nur noch Lucias Vater, der im Sterben lag – wenn ihn der Tod mittlerweile nicht auch schon geholt hatte. Hannah dachte an das Bild im Schlafzimmer der Contessa, die Jungfrau Maria mit dem Christuskind auf dem Schoß. Trauer und Mitleid mit Matteos Mutter wallten in ihr auf, die so heldenhaft gekämpft hatte, um den Jungen zur Welt zu bringen. Nur, um so kurze Zeit später von der Pest dahingerafft zu werden.
Matteo, der Hannahs Verlorenheit und Verzweiflung zu spüren schien, sah sie an, die Stirn in Falten, als litte er mit ihr mit. Er streckte eine Hand aus, um ihr Gesicht zu berühren. Sie liebte diesen Jungen, dieses exotische kleine Wesen. Sie liebte seine blauen Augen und seine helle Haut, die so anders als die der Kinder im Ghetto waren.
Als sie sich vorbeugte, um ihn zu küssen, begriff Hannah, dass Matteo keine Waise war. Sie war seine Mutter, so wahr sie ihn auf diese Welt gebracht hatte. Was immer geschehen mochte, sie würde ihn beschützen. Matteo hatte sonst niemanden auf dieser Welt.
Kapitel 21
I saak ging am Ufer entlang, dessen Steine sich in seine verschwielten Füße gruben. Gertrudis’ Zeichnung trug er aufgerollt vor der Brust, am Arm seine Tasche mit den verpuppten Seidenraupen. Um dem Glück etwas nachzuhelfen, befühlte er das blaue Haarband um sein Porträt. Er hielt den Kopf gesenkt und hatte sich sein Barett tief in die Stirn gezogen. Um keinen Preis wollte er die Aufmerksamkeit der patrouillierenden Soldaten des Großmeisters auf sich ziehen, die ihre über die Schulter gehängten Musketen zur Schau stellten und auf Schmuggelware und fliehende Sklaven aus waren.
Gertrudis’ Angebot, ihm die Piroge ihres Schwagers zur Verfügung zu stellen, war ein Geschenk des Himmels. Er hatte sie nicht überreden können, Joseph die Liebende vorzuspielen, was wohl kaum eine Frau über sich gebracht hätte. Aber sie war gutherzig und darüber hinaus eine begabte Künstlerin. Ihr Porträt Isaaks war so elegant wie
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