Die Hebamme von Venedig
aufpassen, nicht über eine Winde oder ein Tau zu stolpern, und sich vor Anbruch der Dämmerung, und bevor die Mannschaft an Deck antrat, ein hübsches kleines Versteck suchen.
Er beschleunigte seinen Schritt, nur mehr ein paar hundert Meter vom Hafen entfernt, und achtete nicht auf seine schmerzenden Füße. Hoffentlich hatte Gertrudis Wort gehalten.
Endlich erreichte er die Strandbucht, flach und ebenmäßig geformt wie ein halber Kuchen. Das Wasser glitzerte und reflektierte das zinnfarbene Licht des Mondes. Die Küste selbst war bis auf ein paar vermodernde Kiefernstümpfe völlig kahl. Die Bäume waren vor langer Zeit schon zu Schiffsmasten verarbeitet worden, und wo immer man stand, hatte man freie Sicht in alle Richtungen.
Isaaks Blick wanderte den Strand entlang, und tatsächlich, am anderen Ende der Bucht lag neben einem Stück Treibholz ein kleines Boot, genau wie Gertrudis es versprochen hatte. Isaak lief darauf zu, aber was war das? Sein Schrecken wuchs mit jedem Schritt, den er näher kam. Die Piroge von der Länge etwa eines Mannes war halb mit Wasser vollgelaufen, hinten klaffte ein Loch in der Wandung und seitlich fehlte ein Brett. Isaak zog sich einen Kiesel zwischen den Zehen heraus und ließ die Tasche mit den Puppen und Gertrudis’ Zeichnung ein Stück oberhalb der Wasserlinie auf den Strand fallen.
Er watete ins Meer – das Salz stach ihm in die rissigen Füße –, packte das Boot und ruckte es hin und her. Mit dem ausgefransten, algenbesetzten schleimigen Strick, der im Inneren lag, zog er sein Fluchtfahrzeug ein Stück den Strand hinauf. Das Wasser drinnen platschte und schwappte, und der Kiel traf mit einem unangenehm splitternden Geräusch auf den Sand. Ein Ruder lag ein Stück entfernt. Isaak sah sich nach etwas um, womit er das Wasser aus dem Boot schöpfen konnte, erblickte aber nur Steine und Tang. Da fiel ihm sein Porträt auf dem Stück Leinwand ein.
Hannah würde sich mit ihm selbst begnügen und auf sein Abbild verzichten müssen. Er löste das Band um die Kohleskizze und formte daraus ein Gefäß, und während er das Wasser damit aus dem Boot beförderte, sah er, wie die Linien ausliefen und sich sein Bild auflöste, bis nur noch ein geisterhafter Schatten zu erkennen war.
Nach einer Weile vermochte er das Boot anzuheben, um den Zustand des Rumpfes zu inspizieren. Dabei floss auch das letzte Wasser auf den Strand und mit ihm eine Handvoll kleiner Fische, die sich zu zitternden Halbmonden bogen. Isaak stöhnte. Wie konnte Gertrudis glauben, dass ihn dieses brüchige Stück Strandgut lange genug tragen würde, um die Provveditore zu erreichen? War das ihre Rache dafür, dass er sich ihren Reizen nicht ergeben hatte?
Isaak sammelte die kleinen Fische ein, hob den Kopf zum Himmel und ließ sie sich, ohne vorher den Sand abzuwaschen, in den Schlund gleiten. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Boot zu. Vielleicht ließ es sich ja reparieren, wenn der Boden auch voller Tang und Seepocken war. Isaak griff nach einem scharfen Stein, löste damit einige der kleinen Krebse vom Holz und saugte das salzige Innere aus ihnen heraus. Jemand hatte den Rumpf vor langer Zeit einmal mit Werg abgedichtet, dabei aber nicht genug Sorgfalt walten lassen, so dass an etlichen Stellen Wasser eindringen konnte. In diesem Zustand war das Boot so seegängig wie das Skelett einer toten Kuh.
Als er gerade das Stück Leinwand zerreißen wollte, um es in die Ritzen zu stopfen, hörte er Stimmen und laute Schritte im Osten der Bucht. Er hob den Blick und sah zwei Soldaten des Großmeisters mit ungebleichten Musselinhosen, breiten Schärpengürteln und geschulterten Musketen zwischen den Baumstümpfen auf ihn zukommen.
Isaak drehte das Boot um und versteckte sich darunter. Scharfe Steine gruben sich in seinen Rücken, und es stank nach abgestandenem Wasser, verfaultem Holz und toten Fischen. Isaak lag da und atmete so leise wie möglich die salzschwere Luft ein. Die beiden Soldaten mussten bald vorbeigegangen sein. Aber was war das? Die Schritte kamen näher, Stiefel knirschten durch Kiesel und Sand.
»Hier, Luigi«, sagte eine lallende Stimme. Einer der Soldaten ließ sich auf das Boot sinken, das seinem Gewicht mit knarzendem Protest widerstand. »Trink noch einen Schluck Wein. Sie wird gleich hier sein.«
»Bist du sicher?«, fragte der andere Soldat.
»Hast du je eine Hure erlebt, die was zu trinken und ein paar Scudi ausgeschlagen hätte?«
Der Rumpf bog sich jetzt unter dem Gewicht
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