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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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anderes als etwas Unvorstellbares sein, was unter solchen Schmerzen ihren Körper verließ, so als wollte es sich mit Zähnen und Klauen in ihren Eingeweiden festklammern. Etwas Böses, das aus Bösem hervorgegangen war.
     
    »Es sind die Schattengeschwister einer glücklichen Empfängnis, die den Leib in einer Fülle von Blut verlassen. Wenn der Mensch dagegen von Mondkälbern spricht, dann verbirgt sich darin die Angst vor dem Geheimnis des Lebens …«
    Nein, dachte sie. Dieses Kapitel konnte sie so nicht niederschreiben. Es gab andere Gründe, warum im Volk noch immer von Gewächsen und bösen Versammlungen die Rede war, und diese durften in dem Buch einer Hebamme keine Erwähnung finden.
    Sie hatte die Laken und Tücher untersucht, bevor Marthe sie wusch, und was ihr darin begegnete, sah sie wahrhaftig nicht zum ersten Mal. Es war kaum auszumachen gewesen – tatsächlich eine Ansammlung verdickten Blutes. Nur das Ungewollte machte es zu etwas Bösem. Was nicht sein durfte, musste ein monströses Gesicht haben.
    Die Wissenschaft, dachte sie, hatte längst begonnen, das Geheimnis zu lüften. Die Anatomen hatten die Embryonen im Dunkel aufgespürt und ihre Entwicklung dem Menschen sichtbar gemacht. Sie konnten in den anatomischen Sammlungen und illustrierten Veröffentlichungen betrachtet werden. Die Zeit der Mondkälber würde bald endgültig vorbei sein.
    Elgin zerriss das beschriebene Papier und zog einen neuen Bogen heran. Es galt, eiligst einen Brief aufzusetzen. Ihr Instinkt hatte schon nach der Unterredung mit Homberg zu Vorsicht geraten, ihr Verstand befahl Diplomatie. Und ihre Neugier schließlich hatte sie dazu bewogen, das Accouchierhaus aufzusuchen, damit sie sich ein Bild machen konnte. Aber auch ohne die Geschehnisse der vergangenen Tage würde sie sich gegen Kilians Angebot und Hombergs Wünsche entscheiden.

    Als Gesa in der Dämmerung aufstand, fühlte es sich zum ersten Mal nach Herbst an, und sie freute sich über den Dunst auf dem Fluss, die kühle, feuchte Luft, die von draußen kam und sich auf ihr Gesicht legte. Es ließ sie schaudern und schnell in ihr Kleid schlüpfen, um die Schürze darüber zu schließen, die bald eine andere tragen würde, ebenso wie die weiße Haube.
    Es war ein sehr früher und noch grauer Morgen, an dem Gesa sich mit einem greinenden Neugeborenen in der Küche des Gebärhauses aufhielt. Die Frau im Wöchnerinnenzimmer ließ sie nach dem Säugen ruhen. Das zwei Tage alte Kind nahm sie mit sich und wusch es in einem Zuber auf dem Schüttstein. Sie untersuchte den Nabel und legte ihm saubere Windeln an, die sie über der Brust des Kleinen kreuzte.
    An seinem Kopf waren noch Spuren der Zange zu sehen, die Professor Kilian unter der Geburt von zwei Studenten hatte anlegen lassen, bis das Kind sich entschloss, das Tageslicht zu erblicken, bevor ein dritter Praktikant sich an ihm versuchen konnte.
    Mit dem Säugling im Arm schob Gesa im Vorübergehen den Topf Gerstengrütze in die Mitte des Herdes und ließ sich auf einem Schemel nieder. Hinten im Hof hörte sie das träge Gegacker der Hühner, und unten im Holzkeller schien Pauli wieder Scheite in seinen Korb zu schichten. Er achtete immer darauf, dass genug Holz da war. Gesa wiederum achtete darauf, dass er seine Medizin bekam, die sie für ihn aus Quendel und getrockneten Stiefmütterchen zubereitete. Er hatte eine Weile gebraucht, sie darum zu bitten. Dass dies eine Verordnung von Doktor Heuser war, verblüffte sie.
    In Gesas Schoß ruderte das Kleine mit den Armen und verzog das Gesicht, als erinnerte es sich soeben an die Mühsal seiner Geburt. Die blauen Augen suchten ihre Stimme, als sie mit ihm sprach. Sie umfasste die winzigen Füße und gab dem Wunsch nach, sie schnell zu küssen. Die kleinen Finger griffen nach ihren Daumen, als sie gerade an Lotte dachte. Sie musste jetzt längst wieder bei ihrer Familie sein.
    Ihr Abschied war nahezu hastig ausgefallen, mit einem plötzlichen Befremden, das sie beide verstummen ließ. Ihre Hände verschränkten sich für einen flüchtigen Moment, und fast schien es, als hätten sie einander vergessen, kaum dass sie sich lösten. Vielleicht musste es so sein, vielleicht war dies ein Ort flüchtiger Begegnungen.
    Der Besuch der Hebamme Gottschalk hatte ein ebensolches Zeugnis abgelegt. Auch darüber war nicht geredet worden. Als wäre sie nie im Haus gewesen. Zunächst hatte Gesa sich vorgenommen, Doktor Heuser zu fragen, doch sie meinte zu bemerken, dass er ihr auswich. Wie

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