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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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hing es von der fragwürdigen Einschätzung einer Hebamme ab, ob ein Arzt zu einer Geburt hinzugezogen wurde. Wie diese Sicht der Dinge, wie die Scham der gesitteten Frauen im Ehestand vor den hilfreichen Traktionen eines gelehrten Geburtshelfers aufzubrechen war, diese Frage zermürbte ihn zuweilen. Doch nun nahm er sich übel, die Unterstützung einer Hebamme erbeten zu haben, die es sichtlich genossen hatte, ihn wissen zu lassen, dass sie diejenige war, in deren Hände sich die Marburger Bürgerinnen gerne begaben. Sein Angebot war aus der Verzweiflung geboren, in einem Moment der Schwäche, in dem er sich verschiedenen Ideen geöffnet hatte. Auch denen des Kollegen Heuser, der von den Leistungen jener französischen Hebamme Loisin so beeindruckt war, dass er nach ihrem Vorbild eine Rolle im Marburger Gebärhaus besetzen lassen wollte.
    Warum nur, fragte sich Kilian, als er sein Institut erreichte, war der Ärger über die eigenen Fehler so ungleich viel quälender als alles andere?
    Der ätzende Geruch nach Verbranntem stieg ihm in die Nase, sobald er das Haus Am Grün betrat. Es schien eine erste Ankündigung dessen, dass hier etwas ganz und gar aus dem Ruder lief. Der Professor sah sich gezwungen, dem schwarzen Qualm in die Küche zu folgen, wo er mit seinem Stock einen Topf vom Herdfeuer stieß, von dem das Übel ausging. Das Kochgerät fiel scheppernd auf den Steinboden nieder. Trotzdem vernahm Kilian auch den Krach, der von oben kam. Der Säugling schrie in einer wilden Weise, die vermuten ließ, dass er es schon länger tat. Offenbar wusste weder die Mutter noch sonst eine Person Abhilfe zu schaffen. Zudem schien jemand dort gegen eine Tür zu schlagen oder gar zu treten. Die Vorgänge trieben ihn zu Eile.
    Auf der Treppe empfing ihn Frau Textor in einem Zustand, den man als derangiert bezeichnen musste.
    »Herr Professor«, keuchte sie, »die Geburt, ich schwöre Ihnen, sie wäre aufzuhalten gewesen. Gerade hatte ich die Schwangere beruhigt, glauben Sie mir. Sie wollte heimlich das Haus verlassen, wie dieses junge Ding damals, Sie wissen … Nur diesmal habe ich es rechtzeitig gemerkt, und natürlich war unten sowieso abgeschlossen. Ich hab ja dann auch sofort den … äh, nach Ihnen schicken lassen, Herr Professor. Aber jetzt ist es zu spät, die Langwasser hat alles an sich gerissen …«
    »Wovon reden Sie denn, Textor?«, fragte Kilian ungeduldig und gab ihr mit einer Geste zu verstehen, den Weg nach oben freizumachen. »Und warum verbrennen in der Küche die Mahlzeiten auf dem Herd? Warum beruhigt niemand den Säugling? Was ist das für eine inakzeptable Unordnung hier?«
    »Die Schülerin Langwasser«, schnappte die Textor, »sie allein hat das zu verantworten. Sie ahnen ja nicht, wie sie sich immer aufspielt, sobald Sie aus dem Haus sind. Sie tut sich mit den Schwangeren zusammen und gibt sich auf eine ungute Art verständnisvoll … Sie stiftet Unruhe, Herr Professor, und ich glaube, sie macht den Weibern damit erst richtig Angst.«
    »Was sagen Sie da? Warum erfahre ich das erst jetzt?«
    »Herr Professor, ich …«
    In dem Bemühen, den Flur entlang mit ihm Schritt zu halten, geriet die Haushebamme außer Atem, das dämpfte immerhin ihren schrillen Ton ein wenig. Kilian verabscheute keifende Weiber, doch was die Textor zu sagen hatte, hinterließ seine Wirkung.
    »Ich muss zugeben«, keuchte sie weiter, »dass ich die Langwasser schon länger in Verdacht habe, aber erst heute, als sie diese Schwangere so weit hatte, dass sie nach mir getreten hat … und die anderen … Sie muss sich hinter meinem Rücken irgendwie mit ihnen verständigt haben. Wahrscheinlich hat sie ihnen Zeichen gegeben, während ich versuchte, die Kreißende zu beruhigen, der in der ganzen Aufregung die Wasser gebrochen waren …«
    Sie erreichten die Kammer der Schwangeren, nachdem Kilian durch die weit offen stehende Tür des Wöchnerinnenzimmers im Vorübereilen hatte feststellen können, dass sich dort niemand aufhielt. Was auch immer sich abspielte, es geschah hinter der Tür, deren Klinke Kilian nicht niederdrücken konnte.
    »Was ist denn mit dieser Tür, Textor? Warum ist sie nicht zu öffnen?«
    »Das versuch ich Ihnen ja schon die ganze Zeit zu sagen, Herr Professor«, stieß die Haushebamme hervor und sprach nun etwas leiser. »Sie sind auf mich losgegangen, haben mich aus der Kammer gestoßen, das war ein richtiger Aufstand. Die Langwasser hat nichts getan, um mir zu helfen, nichts. Ganz im Gegenteil, sie hat die

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