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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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nach den Studenten zu schicken war, sobald eine der Frauen anfing zu kreißen. Sie wunderte sich nur, warum sie noch keine der Schwangeren zu Gesicht bekommen hatte, und jetzt hoffte Gesa, dass keine von ihnen das hier je sehen musste.
    »Diese Embryonen, junge Dame, zeigen uns nichts als das menschliche Antlitz. Und dieses ist mitunter schwer zu ertragen, nicht wahr?«
    Der Professor neigte den Kopf. Einige seiner Haare hatten sich zu Kringeln gedreht, und sein Blick ruhte auf den Ausstellungsstücken. Das Gesicht des Mannes spiegelte sich wie ein Mond im Glas der Schranktür. Gesa beeilte sich, ihre zitternden Hände in der Schürze zu verstecken, die sie seit heute morgen über ihren Röcken trug, wie Lotte und wie die Hebamme Textor, die ihnen nicht ins Auditorium gefolgt war.
    »Dies ist der kleine Teil einer anatomischen Sammlung. Diese Wesen sind von Menschen geboren, und wir haben die Aufgabe zu fragen, warum sie diese Gestalt annahmen. Andere hier ausgestellte Präparate sind Totgeborene, die der Wissenschaft in einer vorzüglichen Weise dienen. Das werden Sie noch erfahren.«
    Er bedeutete Gesa, ihm zu folgen und einen Gegenstand zu betrachten, der auf einem gepolsterten Stuhl platziert war. Es war ein plumpes Etwas, mit zwei gespreizten Stümpfen, das aussah, als hätte man es von einem Körper getrennt und sorgfältig vernäht.
    »Das Accouchieren üben die Praktikanten zunächst an unserem geburtshilflichen Phantom. Und Sie selbstverständlich ebenso.«
    »Accouchieren?«, sagte Gesa. »Was bedeutet das?«
    Sie sah die Studenten grinsen und Lotte die Backen aufblasen, doch sie dachte nicht daran, zu schweigen. Nur Dinge, die du nicht begreifst, können dir Angst machen, hatte Tante Bele gesagt. Angst lässt dich Fehler machen. Also stell Fragen.
    »Ist dies ein Gerät zum Üben von Griffen unter der Geburt?«
    »Ach, hat sie Erfahrung, die Jungfer?« Der Professor lächelte.
    »Meine Tante war Hebamme und ich ihre Lehrtochter«, sagte Gesa. »Fünf Jahre habe ich sie zu den Frauen begleitet.«
    Kilian wandte sich seinen Studenten zu und überprüfte den Sitz seines Halstuchs, als gäbe es Zweifel daran, dass es anders als makellos gebunden sein könnte.
    »Diese Maschine hier hat in ihrem Inneren ein natürliches Frauengerippe. Es ist gänzlich ausgestopft und mit Leder bezogen, wir nennen sie auch unsere lederne Mutter«, sagte er, und seine Hand tätschelte den Gegenstand wie den Hintern eines Pferdes. »Sie gestattet mir, alle Arten widernatürlicher und schwerer Geburten darzustellen«, fuhr er fort. Dabei schienen seine Worte weiterhin an niemanden Bestimmten gerichtet zu sein. Sein Lächeln war längst erloschen. »Und ich möchte betonen, sie gestattet es mir, so wie ich es meinen Studenten und Schülerinnen nach einer angemessenen Anzahl von Touchierübungen erlaube , diese an dem Körper eines schwangeren Weibes zur Vervollkommnung meines Unterrichts fortzusetzen.«
    Clemens sah zu, wie die beiden Schülerinnen ihre angewiesenen Plätze am Rand des Auditoriums einnahmen, nachdem sie den Instrumentenschrank passiert hatten. Er vermutete, dass die Ältere unter der Bank nun wohl der Jüngeren die Hand drückte.
    »Ihre Aufgabe wird es vor allem sein, Vorurteile und Aberglauben abzulegen und mit Vernunft auf die Wöchnerinnen einwirken, die Ihnen anvertraut sind. Es liegt in Ihren Händen, das will ich betonen, dass keine von ihnen mehr glauben muss, es sei besser, sich unserer Hilfe zu entziehen«, hörte er Kilian sagen.
    Der junge Doktor sah den Blick der Neuen auf den Instrumenten haften, den Perforationsbestecken, Haken und Zangen. Sie gab sich offensichtlich Mühe, keine Gefühlsregung erkennen zu lassen, und für einen Moment hatte er den flüchtigen Wunsch, ihr die Instrumente zu erläutern.
    Kilian würde jetzt den Teil seines Vortrags beginnen, der ihm besonders wichtig war, das konnte er daran erkennen, wie er seine Hände betrachtete und dann ruckartig den Kopf hob.
    »Erfahrung allein ist nichts, worauf man sich berufen sollte. Es liegt eine gewisse Anmaßung darin, und es erklärt uns, meine Herren, warum Hebammen in den zwei Jahrtausenden, in denen die Geburtshilfe fast ausschließlich ihr Geschäft war, es nicht verstanden, ihr Fach zu einer Wissenschaft zu entwickeln.« Zu Gesa gewandt sagte er: »Von den Instrumenten der modernen Geburtsmedizin werden Sie durch die gute Tante womöglich noch keine Kenntnis erhalten haben, darf ich annehmen?«
    Jetzt muss sie uns bereits für

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