Die Hebamme
zu glauben, Tante Bele sei auf ihren nächtlichen Wegen in einen Elfenreigen geraten und hätte seitdem vielleicht eine Haut aus Glas, die man nicht berühren durfte. Wenn man es tat, zersprang sie in tausend Stücke.
Dabei war es nicht so, dass Tante Bele sie niemals angefasst hätte. Sie tat es allerdings nur, wenn es nötig war, doch dann war ihre Berührung fest und warm. Die Frauen fasste sie auf eine Weise an, dass sie ruhig wurden. Die Frauen hatten Tante Beles Hände gern gehabt.
Gesa lauschte den Geräuschen des Hauses nach und dachte an die Schwangeren unten. Sie tastete nach der Leinentasche, die sie einmal für Bele genäht hatte, und drückte sie an sich wie eine alte Puppe. Sie hoffte, es würde sie beruhigen und sie könnte endlich schlafen, wie Lotte es im Bett gegenüber schon seit langem tat.
Zwei
FRÜHLINGSMOND
Als Elgin das Bett verließ, spürte sie die Bewegung ihrer gelösten Haare auf der bloßen Haut, bis hinunter zu den Hüften.
Die Kerzen waren längst heruntergebrannt, und sie musste mit dem verblassenden Mondlicht auskommen. Sie setzte die Füße vorsichtig auf, obwohl sie wusste, dass die dicken Eichendielen ihre Schritte schlucken würden.
Dunkle Möbel umgaben sie wie ein Kreis alter Freunde, wobei zu bemerken war, dass es in ihrem Leben kaum Menschen gab, deren Nähe sie zuließ. Das Haus in der Hofstatt war die Hinterlassenschaft ihrer Mutter, mit der sich fortsetzte, was durch die ungewöhnliche Erziehung ihres Vater geprägt worden war: ein Leben, das sich von keinem anderen abhängig machen musste. Als Elgin das kleine Haus vor Jahren übernahm, hatte sie es nur mit dem Nötigsten versehen. Der einzige Luxus, den sie sich gestattete, waren Vorhänge aus weißem Musselin. Wenn sie sich – anders als heute – nachts bei geöffneten Fenstern aufbauschten, konnte es ihr scheinen, als wäre jemand mit ihr wach.
In den Nächten, die sie nicht am Bett einer Frau verbrachte, hätte sie nackte Fenster empfunden wie blicklose Augen, die etwas von ihr fortnahmen und im Nichts verschwinden ließen. Diese dunkle Leere bot verzagten Gedanken Platz, mit denen sich zu befassen Elgin als Zeitverschwendung betrachtete.
Aus einem ähnlichen Grund hatte sie einen wuchtigen Spiegel entfernen lassen, den sie bei ihrem Einzug in diesem Zimmer vorfand. Sie ersetzte ihn durch einen Tisch, an dem sie ihre Bücher ausbreiten konnte.
Das letzte Mal, dass Elgin sich eingehend in einem Spiegel betrachtet hatte, lag daher Jahre zurück. Ihre Brüste waren weder groß noch klein, eine Taille konnte sie kaum vorweisen, und insgesamt hatten die Konturen ihres Körpers etwas Sachliches. Es war lange her, dass Elgin meinte konstatieren zu müssen, nicht besonders hübsch zu sein. Frei von Kummer hatte sie es bei diesem Urteil belassen. Die Mutter war zu früh aus ihrem Leben verschwunden, als dass sie ihrer Tochter zu einem gnädigeren Umgang mit sich selbst hätte raten können.
Die Kacheln des Ofens waren noch heiß. Obwohl Elgin zum Schlafen frische Luft bevorzugte, ließ sie in Nächten wie dieser Marthe noch einmal Holz nachlegen und einen Topf mit heißem Wasser hinter die obere Tür des Ofens stellen, bevor sie sie schlafen schickte.
In wenigen Wochen würde es warm werden, der Ofen in ihrem Zimmer unbeheizt bleiben, und sie musste sich etwas anderes einfallen lassen, um in tiefer Nacht an heißes Wasser zu kommen.
Ob Marthe sich jemals Gedanken machte, wenn diese Anordnungen kamen? Ihr war nichts anzumerken, das schätzte Elgin an ihrer alten Magd. Sie hatte ihr die Führung des Haushalts von Anbeginn bereitwillig überlassen, und Marthe dankte es ihr mit Verschwiegenheit.
Auf dem Schemel neben dem Ofen stand die Waschschüssel bereit, in die Elgin ein Leinensäckchen mit einer Mischung aus Efeublättern, Benediktinenkraut und Haselwurz legte. Sie hatte sich angewöhnt, eine kleine Anzahl dieser Säckchen vorzubereiten und sie in einem Schrank zwischen ihrer Wäsche aufzubewahren. Hier in ihrem Zimmer, wo sie schlief, las und seit einem der letzten warmen Oktobertage des vergangenen Jahres zuweilen auch andere Dinge tat. Dinge, die ihr mehr Vergnügen bereiteten, als sie es erwartet hätte, und die ihr gefährlich werden konnten.
Mit einem Tuch ergriff sie den Topf, zog ihn aus dem Ofen und ließ das Wasser vorsichtig in die Schüssel fließen. Sie spreizte die Beine über dem Schemel, ihr Geschlecht empfing den heißen Dampf, und als sie die Augen schloss, kamen die Zweifel. Sie musste sich
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