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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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Praktiken überführen, Herr Professor? Dann sollten Sie wissen, dass ich mich nicht fürchte.«
    »Ich hoffe, Sie glauben mir, Gottschalkin«, hörte sie ihn sagen, »dass es mir fern liegt, Sie zu kränken.« Er klang weder hölzern noch gespreizt, sondern sehr milde. »Wie Sie sich verhielten und mir während der sectio zur Seite standen, verdient meine Achtung. Es ist bedauerlich, dass so ein trauriger Fall Beispiel dafür geben musste, welch eine Ergänzung der Wissenschaften sich hätte ergeben können …«
    Kilian wünschte, sie hätte ihre Haltung aufgeben können. Es berührte ihn merkwürdig, ihren gebeugten Nacken betrachten zu müssen. Erst, als er die Hände auf dem Rücken verschränkte und seinen Blick ratlos umherwandern ließ, entdeckte er auf dem hellen Holzboden einige hellrote Tropfen, manche von ihnen hatten noch einen feuchten Schimmer. Sie führten von der Tür bis zur Wiege, und auch auf dem Kleid der Gottschalkin gab es gewisse Spuren. Nun verstand er, dass sie voller Scham sein musste.
    »Sie sollten sich helfen lassen«, sagte er sanft. »Ich werde eine der Frauen zu Ihnen schicken.«

    In der Nacht lag Elgin auf ihrem Bett und sah zu, wie der Wind den Musselin vor ihrem Fenster ins Zimmer blähte. Am Morgen hatte sie den getrockneten Sadebaum aus ihrem Herbarium gelöst und den Sud gekocht, sobald Marthe zum Markt gegangen war. Am Abend nun verspürte sie über allem, was geschehen war, ihre Krämpfe nicht mehr. Sie war vorsichtig gewesen, vorsichtiger noch als bei Bettina, doch genauso wie sie hatte Elgin sich zu schnellem Handeln entschlossen. Es gab keinen richtigen oder falschen Zeitpunkt, den Sud zu trinken. Da es jederzeit geschehen konnte, dass man sie aus dem Haus rief, hatte sie den heutigen Morgen gewählt, um zu tun, was zur Wiederherstellung ihres Geblüts nötig war.
    Dabei meinte sie, dass es ihr gut gelungen war, Lambert zu vergessen – selbst als die ganze Stadt von kaum etwas anderem mehr zu sprechen schien als der Hochzeit. Manche nannten es die Verheiratung der Apotheken, und andere – schwärmerische Naturen – meinten zu wissen, dass Liebe im Spiel war. Was auch immer zu Elgin durchdrang über die besondere Schönheit der Zeremonie und des Festes, so hatte sie es mit Erleichterung vernommen. Sie war sehr überzeugt davon, dass Lambert und jedes Gefühl, das sich mit ihm verband, spurlos aus ihrem Leben verschwunden war.
    Wann bloß hatte sie angefangen, darüber nachzudenken? Nur ein Gedanke zunächst. Wann war ihr eingefallen, dass sie nach dem Abschied von ihm vor Wochen wie jetzt auf ihrem Bett gelegen hatte, erschöpft und so unendlich müde? Dass sie noch seine Schritte auf den Stufen der Treppe gezählt hatte und nach dem gedämpften Laut der unten sich schließenden Tür sofort eingeschlafen war? Wann hatte sie sich erinnert, dass sie nach dem Abschied keine ihrer üblichen Verrichtungen vollzogen hatte? Es gab nicht mal eine Gewissheit, die sie handeln ließ. Sie wollte es nicht abwarten. Sie wollte nicht zulassen, dass etwas sie hinderte, die Nächte mit Lambert zu vergessen. Die letzte Nacht, denn sonst – dachte sie – gab es nichts zu vergessen. Deshalb hatte sie vom Sud getrunken, nur sehr wenig. Achtsam.
    Elgin lag da und streckte die Hand aus nach den luftigen Segeln, die der Wind vom Fenster zum Bett herüberschob. Plötzlich schien es ihr, als hätte sie an nichts mehr eine Erinnerung, außer an die Fetzen des dicken, elfenbeinweißen Papiers auf dem Boden von Büttners Werkstatt, wo die zerrissenen Bilder im Dunkel lagen wie helles Laub auf einem nächtlichen Grund.
    Irgendwo bei der Druckerpresse, hinter den wuchtigen Umrissen des Rades, hatte sie Büttner vermutet. Von dort jedenfalls war seine heisere Stimme gekommen.
    Sie solle schweigen, verlangte er. Obwohl sie wusste und ihm erklären wollte, dass es keine Schuld gab, hatte sie sich schuldig gefühlt. Sie verstand ihn.
    »Gehen Sie«, hatte er gesagt, »und kommen Sie niemals wieder.«
    Zu Hause hatte sie Marthes besorgten Blick ertragen müssen, nichts weiter. Marthe stellte keine Fragen. Allerdings folgte sie ihr hinauf zum Zimmer, wo es warm war, durchzogen von einem strengen Geruch. Die alte Magd wartete, bis Elgin ihr das Kleid gab, denn Blut, murmelte sie, ließe sich am besten sofort und mit Asche entfernen. Neben dem Bett lag ein Stapel mit gefaltetem Leinen.
    Was Marthe auch bekannt sein mochte – hinter der Ofentür, dort, wo man etwas warm halten konnte, stand eine Schüssel

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